64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
auseinander, betrachtete die Zähne und sagte dann:
„Sie haben nicht den Hauptmann gefangen.“.
„Nicht? Was!“ rief der Anwalt.
„Ich kann es beschwören.“
„Sie erschrecken mich, Durchlaucht!“
„Das sind nicht die feinen, gelblichen Hände des Barons von Helfenstein; das sind auch nicht seine schmalen, matt schimmernden Zähne. Hier diese Zähne sind breit und kräftig, wie diejenigen eines Mannes, welcher gewöhnt ist, harte Rinden zu beißen.“
„Durchlaucht, dürften Sie sich nicht irren?“
„Nein, ich bin meiner Sache gewiß.“
„Aber er hat falsche Perücke getragen.“
„Das ist freilich auffällig, dennoch aber ist er ein anderer. Hat er nicht gesprochen?“
„In der Nacht.“
„Was?“
„Einige abgerissene Worte.“
„Die Sie sich natürlich notiert haben?“
„Nein. Sie waren ohne alle Bedeutung.“
„Ich glaube nicht, daß in einem solchen Fall ein Wort ohne alle Bedeutung sein kann. Wer hat gewacht?“
„Diese Dame hier.“
Er deutete auf die Pflegerin. Der Fürst fragte diese:
„Können Sie sich der Worte erinnern?“
„So ziemlich. Er stieß einen lauten Angstschrei aus. Dann sprach er von Herabgeworfenwerden, von einem Tornister, von Geld darin und nannte einige Namen.“
„Welche?“
„Das weiß ich nicht so genau. Er sprach, glaube ich, auch von Amerika und von einem – na, wie war es doch – von einem Holzschnitzer.“
Der Fürst blickte schnell auf.
„Amerika? Holzschnitzer?“ fragte er. „Hat er den Namen dieses Holzschnitzers genannt?“
„Ich habe die Namen vergessen.“
„Etwa Weber?“
„Ja, ach ja, Weber in – in –“
„In Langenstadt etwa?“
„Ja, so war es, in Langenstadt.“
„Alle tausend Teufel! Da kommt mir eine Ahnung! Aber wie hat man diesen Mann hier eigentlich gefunden? Wie ist man auf ihn aufmerksam geworden?“
„Durch einen Amerikaner, welcher der militärischen Patrouille begegnet ist“, antwortete der Anwalt.
„Dieser Amerikaner hat auf ihn aufmerksam gemacht?“
„Ja. Er hat erzählt, daß er ihm begegnet sei und sogleich Verdacht habe hegen müssen.“
„Wie war der Amerikaner gekleidet? Gab es an ihm irgend etwas Auffälliges?“
„Er war von dem kommandierenden Offizier einer Ähnlichkeit wegen angehalten worden, hatte aber infolge seiner ausgezeichneten Legitimationen seinen Weg dann fortsetzen dürfen.“
„Herr Staatsanwalt, man hat den Hauptmann entkommen lassen, dafür aber einen Unschuldigen festgenommen, an welchem der erstere ein Verbrechen begangen hat.“
„Das wäre ja entsetzlich!“
„Ist es auch wirklich. Diesen armen Teufel hier brauchen Sie nicht so sorgfältig bewachen zu lassen. Er entgeht Ihnen nicht. Wir müssen sein Leben zu retten suchen, weil er ein wichtiger Zeuge gegen den Hauptmann sein wird. Daß uns aber der letztere nicht entkommen möge, dazu will ich wenigstens den Versuch machen. Ich werde Ihnen nach hier Nachricht senden.“
Er eilte hinaus und bestieg sein Pferd. Der Anwalt kam ihm schnell aus dem Haus nach und sagte:
„Darf ich nicht Näheres erfahren, Durchlaucht?“
„Die Zeit ist zu kurz. Ich ahne, wo der Hauptmann sich befindet, und will telegrafisch Befehl zur Arretur geben. Darum muß ich schleunigst nach dem nächsten Ort, an welchem sich ein Telegrafenamt befindet.“
Er jagte davon. Im nächsten Städtchen gab es Post und Telegraf. Von da aus ließ er folgende Depesche abgehen:
„Dem Bürgermeister von Langenstadt.
Sofort Amerikaner bei Holzschnitzer Weber arretieren. Ja nicht entkommen lassen. Umgehend Rückantwort an
Fürst von Befour.“
Er ging in den Gasthof, um diese Antwort zu erwarten. Sie kam nach Verlauf von einer Viertelstunde und lautete zu seinem größten Erstaunen:
„Hat ihn schon! Mit nächstem Zug ab nach der Residenz.
Anton“
Das war folgendermaßen zugegangen:
Der alte, brave Köhler hatte, ohne sich im Weg zu irren, den Gebirgswald hinter sich gelegt. Es wurde Tag, als er den nächsten Eisenbahnort vor sich sah. Da kam ihm ein junger Mann entgegen, welcher ihn forschend betrachtete und dann, ihn grüßend, fragte:
„Sie wohnen im Wald? Nicht?“
„Ja. Sie sehen das wohl an meinem Habitus?“
„Ja. Sie sind da zwischen den Bergen gut bekannt?“
„Ich kenne jeden Weg und Steg.“
„So ist es Ihnen vielleicht möglich, mich zurecht zu weisen. Ich suche nämlich einen Köhler, welcher Hendschel heißt.“
„So, so! Was wollen Sie bei ihm?“
„Kennen Sie ihn?“
„Ja.“
„Also, wie
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