64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
gewann er die Überzeugung, daß für ihn keine Gefahr vorhanden sei. Und da er zufälligerweise auch von der Anwesenheit des Fürsten nichts erfuhr, so zeigte er eine Sicherheit des Benehmens, welche dem Doktor die volle Überzeugung gab, daß er sich geirrt habe.
Dieser letztere mußte endlich aufbrechen. Weber wollte ihn nach dem Bahnhof begleiten, doch nahm er dies nicht an. Nur Magda trat mit ihm hinaus vor die Haustür, um ihren Abschiedskuß zu empfangen; dann begab er sich allein fort.
Als er auf dem Bahnhof mit dem Fürsten zusammentraf, sagte dieser:
„Ich erhielt die Antwort. Der Hauptmann ist wirklich gefangen worden. Sie haben sich also geirrt.“
„Das sehe ich jetzt auch ein, obgleich es mir erst unwahrscheinlich war. Ich habe die Legitimation des Amerikaners gesehen und bin überzeugt worden.“
Um dieselbe Zeit brannte in der Stube des Kohlenbrenners Hendschel eine kleine Lampe, welche nur ein sehr spärliches Licht verbreitete. Der Verunglückte lag regungslos im Bett, an welchem eine Krankenwärterin saß, die man aus der Residenz gesandt hatte.
Auch der Staatsanwalt war gekommen. Er hatte sich überzeugt, daß der Kranke unfähig sei, zu entfliehen und war dann in die Kammer gegangen, wo er für diese Nacht schlafen wollte.
Am Tisch, von dem Schein des Lichts nicht getroffen, saß der Köhler mit seiner Frau. Sie hatten allerlei Gedanken auszutauschen und sprachen so leise miteinander, daß die Pflegerin nichts davon hören konnte.
„Und ich behaupte doch, daß er es nicht ist“, raunte die Frau dem Mann zu, ein begonnenes Gespräch fortsetzend.
„Aber beweisen kannst du es nicht!“
„Nein.“
„Woher willst du das so genau wissen?“
„Ich fühle es.“
„Unsinn!“
„Das ist kein Unsinn, Alter! Wir Frauen haben so ein feines Gefühl, weißt du. Wäre nur sein Gesicht nicht so sehr zerschunden, daß man die Züge sehen könnte.“
„Aber es waren doch seine Kleider!“
„Das ist eben das Sonderbare!“
„Auch hatte er unser Brot einstecken.“
„Daran denke ich auch. Aber ich kann mir den Kopf zerbrechen, ich finde keine Erklärung.“
„So müssen wir eben warten, bis das Gesicht wieder heil geworden ist.“
„Das kann lange dauern. Wenn es doch wenigstens ein anderes Zeichen gäbe, an welchem – du, Vater, da fällt mir etwas ein, ah, etwas Wichtiges!“
„Was denn?“
„Weißt du, was dieser Hirsch am Finger hatte?“
„Hm! Einen Ring.“
„An welchem Finger?“
„Am rechten, kleinen.“
„Richtig! Ich besinne mich ganz genau. Wie sah der Ring aus?“
„Er war dünn, hatte aber einen großen roten Stein.“
„Dieser Stein funkelte so bei Licht. Wollen wir einmal nach der Hand sehen?“
„Ja, aber nichts sagen.“
Nach einiger Zeit erhob sich der Alte, machte sich in der Nähe des Betts zu schaffen und kehrte dann zurück.
„Er hat keinen Ring“, flüsterte sie.
„Auch an der Linken nicht? Vielleicht irren wir uns in Beziehung auf die Hand.“
„Er trägt überhaupt keinen Ring.“
„Sollte er ihn verloren haben?“
„Wohl nicht. So ein Ring pflegt fest zu stecken.“
„Du, das kommt mir allerdings nun verdächtig vor! Ich glaube, er ist von dem Sturz sofort betäubt worden, so daß er gleich regungslos gewesen ist. Und doch sah ich ganz deutlich, nachdem ich den gräßlichen Schrei gehört hatte, daß sich etwas an der betreffenden Stelle bewegte. Ob wohl jemand dagewesen ist und ihm den Ring gestohlen hat?“
„Möglich ist es. Wer aber könnte das gewesen sein?“
„Vielleicht der, den der Leutnant in der Nähe getroffen hat. Weißt du nicht, daß davon gesprochen wurde?“
„Ja. Es ist ein Amerikaner gewesen.“
„Den der Leutnant für den Hauptmann gehalten hat.“
„Hm! Sonderbar!“
Es entstand eine längere Pause. Der Köhler brummte einige Male vor sich hin, kratzte sich hinter dem Ohr, brummte wieder und wieder, bis das endlich doch seiner Frau zu auffällig wurde. Sie fragte flüsternd:
„Was hast du denn?“
„Einen Gedanken.“
„Na, da gibt es doch nichts zu brummen!“
„Oho! Es ist ein ganz verzweifelter Gedanke.“
„Laß ihn doch hören!“
„Er will nur schwer heraus. Er ist so dumm, aber doch auch sehr gescheit. Ich weiß nur nicht, welches von beiden das richtige ist. Es war eine verflixte Geschichte.“
„Was denn?“
„Wenn der Amerikaner der Hirsch gewesen wäre.“
„Mann, wo denkst du hin!“
„Und der Kranke hier ist ein Unschuldiger.“
„Wie wäre das
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