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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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möglich?“
    „Der Hirsch hätte ihn herabgestürzt.“
    „Herrgott!“
    „Und nachher die Anzüge gewechselt.“
    „Mann, Alter! Ich fürchte mich vor dir!“
    „Na, ich habe ihn doch nicht heruntergestürzt.“
    „Aber du sinnst dir solche Sachen aus – Herrgott!“
    Die Frau fuhr entsetzt vom Stuhl auf, ihr Mann ebenso. Der Kranke hatte nämlich in diesem Augenblick, ohne sich nur im geringsten dabei zu bewegen, einen fürchterlichen Schrei ausgestoßen, einen so entsetzlichen Schrei, daß auch die Krankenpflegerin laut aufgeschrien hatte.
    „Mein Heiland!“ sagte der Köhler. „Das ist derselbe Schrei, den ich im Wald hörte.“
    Sie horchten. Der Kranke war wieder ruhig. Draußen aber knarrte die Treppe, und der Staatsanwalt, der sich nicht entkleidet hatte, trat ein.
    „Wer schrie so?“ fragte er.
    „Hier“, antwortete die Pflegerin, auf den Kranken deutend.
    „Sagte er etwas?“
    „Nein. Er schrie nur auf.“
    „So, so! Ich dachte, es wäre etwas geschehen.“
    Es wurde, als er sich beruhigt hatte, in der Stube wieder still. Nur die alte Wanduhr ließ ihr regelmäßiges, monotones Ticktack hören. Die Wärterin nickte leise vor sich hin. Sie war nahe daran, einzuschlafen.
    Da begann der Kranke, leise, ganz leise zu wimmern. Es klang fast, als ob er singen wolle. Dann plötzlich sagte er lauter und ganz verständlich:
    „Weber heiße ich.“
    Darauf ward es wieder still. Die beiden Alten stießen sich an. Sie wollten sich eine Mitteilung zuflüstern; da aber erklang es kurz und zornig:
    „Aus Amerika – nach Langenstadt.“
    Die Pflegerin schüttelte verwundert den Kopf. Der Köhler aber raunte seiner Frau erschrocken zu:
    „Hast du es gehört?“
    „Ja.“
    „Weber heißt er!“
    „Nach Langenstadt will er!“
    „Aus Amerika kommt er!“
    „Sollte Gevatter Weber gemeint sein?“
    „Du, höre, der hat ja Verwandte drüben.“
    „Und der Mann, den der Leutnant im Wald getroffen hat, ist ein Amerikaner gewesen.“
    „Hat aber dem Hauptmann so sehr ähnlich gesehen.“
    „Das kommt mir immer verdächtiger vor!“
    „Horch!“
    Der Kranke wimmerte leise fort, doch immer noch, ohne sich zu bewegen. Er hielt auch die Augen geschlossen. Sodann murmelte er kurze, unverständliche Worte vor sich hin, bis man endlich deutlicher hörte:
    „Mein Ranzen – viel Geld – Holzschnitzer – ha, stürzt mich hinab –“
    Das letztere hatte er mit lauter Stimme gerufen. Dann ließ das Wimmern nach, und er schlief wieder ein. Es war nichts mehr zu hören. Der Köhler wartete eine ganze Weile. Als das Schweigen andauerte, sagte er zu der Alten:
    „Jetzt ist es fast gewiß, daß er den Gevatter meint!“
    „Denkst du?“
    „Ja. Weber – Holzschnitzer – Langenstadt. Es kann ja gar kein anderer gemeint sein.“
    „Was wollte er mit dem Ranzen?“
    „Er wird einen gehabt haben und viel Geld drin.“
    „Sagte er nichts vom Hinabstürzen?“
    „Ja, freilich. Du, ich habe einen großen Verdacht!“
    „Ich fast auch.“
    „Was denkst du denn?“
    „Dieser Hirsch ist doch der Mörder gewesen.“
    „Das ist's, was auch mir nicht aus dem Sinn will.“
    „Er hat den Fremden getroffen und vom Felsen gestürzt, um ihm alles abzunehmen.“
    „Das wäre schauderhaft.“
    „Aber es ist doch sehr leicht möglich. Nicht?“
    „Ja.“
    Sie überlegten schweigend. Erst nach einer längeren Pause stieß der Köhler seine Frau an und flüsterte:
    „Ich behalte es nicht auf meinem Gewissen.“
    „Was willst du denn tun?“
    „Ich sage es.“
    „Wem denn?“
    „Dem Staatsanwalt.“
    „Daß der Hirsch dagewesen ist?“
    „Ja.“
    „Was fällt dir ein! Willst du uns unglücklich machen!“
    „Hm! Ja! Und den Vetter dazu! Der wird nun zu Hause in Obersberg sein. Soll ich ihn in Verlegenheit bringen, nun, da er endlich in Sicherheit ist?“
    „Du darfst nichts sagen, kein Wort!“
    „Aber mein Gewissen! Wenn der Hirsch eine solche Schlechtigkeit begangen hat!“
    „Wir können es doch nicht mehr ändern!“
    „Doch, doch! Wer weiß, was er außerdem noch vorhat! Wenn er wirklich das getan hat, was wir denken, so ist er auf jeden Fall nach Langenstadt.“
    „Zu Webers?“
    „Er gibt sich dort für den Amerikaner aus.“
    „Während der Unschuldige hier bei uns liegt!“
    „Wenn man nur wüßte, was man am klügsten zu tun hat! Denke dir, daß Hirsch jetzt fort ist. Wenn er in Langenstadt ertappt würde. Das Geld, das viele Geld!“
    „Zehntausend Gulden!“
    „Oder

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