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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schlaue Polizist heuchelte eine verlegene Miene, wartete ein wenig und antwortete dann:
    „Ich will in meine Heimat, wo ich in einer kleinen Familienangelegenheit anwesend sein muß.“
    Die beiden anderen tauschten einen Blick aus, welcher nichts anderes besagte, als:
    „Aha! Er hat angebissen. Er will mit dem Hauptmann fort.“
    Und da kam auch schon der Wirt herbei, brachte das Glas Bier, welches der Diener beim Platznehmen verlangt hatte, und sagte:
    „Vorhin war jemand da und hat mir diesen Brief übergeben.“
    „Für mich?“
    „Ja.“
    „Hm! Das wundert mich. Das muß ein Versehen sein. Das Kuvert hat ja gar keine Adresse!“
    „Die fehlt allerdings.“
    „Wer war denn dieser Jemand?“
    „Ein Mann, den ich nicht kannte.“
    „Er muß doch einen Namen genannt haben, und ich glaube nicht, daß Sie den meinigen wissen.“
    „Er sagte, der Brief sei für den Diener der amerikanischen Tänzerin, welcher hier zu verkehren scheine. Sind Sie das?“
    „Ja freilich.“
    „Nun, so ist die Sache ja in Richtigkeit!“
    Der Polizist tat noch immer so, als ob er zweifle. Er betrachtete den Brief von allen Seiten und schüttelte den Kopf. Die beiden andern dachten im Stillen: Der Kerl spielt seine Rolle nicht übel. Und dann meinte der Agent:
    „Was überlegen Sie noch? Der Brief ist ohne allen Zweifel an Sie gerichtet; Sie können ihn also getrost öffnen!“
    „Na, ich will's versuchen!“
    Er brach das Kuvert auf, las den Zettel, nickte mit dem Kopf und sagte dann lächelnd:
    „So ist es! Man ist vergeßlich. Ich hatte mich um eine Anstellung beworben und dem Agenten gesagt, daß er den Brief hierher schicken solle. Das hatte ich vergessen, da ich indessen eine Anstellung gefunden habe. Herr Wirt, haben Sie vielleicht ein Kuvert und Papier?“
    Der Wirt brachte das Verlangte. Der Polizist legte den Briefbogen auf den Tisch und schrieb so offen, daß die andern es deutlich sehen konnten, ein ‚Ja‘ darauf. Er steckte dann den Bogen in das Kuvert und fragte:
    „Soll die Antwort abgeholt werden?“
    „Ja.“
    „Hier ist sie. Die Schreiberei ist gar nicht nötig!“
    Diese letzteren Worte waren doppelzüngig gesprochen, was aber gar nicht beachtet wurde. Er trank sein Bier baldigst aus, bezahlte und verabschiedete sich.
    Nun brachte der Wirt den Brief. Er sagte lachend:
    „Sie werden bereits gesehen haben, was er antwortete. Er scheint nur ein Wort geschrieben zu haben.“
    „Allerdings. Der Witz ist gelungen.“ –
    Der Fürst war unterdessen im Findelhaus gewesen und hatte gebeten, betreffs Robert Bertram in den Büchern nachzuschlagen. Er hatte das Datum und die Art und Weise erfahren, unter welcher man den Knaben in der Drehscheibe gefunden hatte. Die Kette mit dem Medaillon war ganz genau beschrieben, und zuletzt stand die Bemerkung, daß der Findling dem Schneider und Musikus Bertram ausgehändigt worden sei.
    Über die Person gab es also keinen Zweifel mehr. Es fehlte nur noch das Geständnis der Schmiede, daß sie den Knaben in das Findelhaus gebracht hatten und daß dieser der Sohn des ermordeten Barons von Helfenstein sei.
    Als der Fürst nach Hause kam, wartete Adolf auf ihn. Er sah es dem Gesicht desselben an, daß er eine gute Nachricht bringe.
    „Nun? Hast du bereits Erfolg gehabt?“
    „Ja, diesen hier.“
    Der Polizist zeigte ihm das Schreiben, welches er von dem Wirt erhalten hatte. Der Fürst las es und fragte:
    „Was hast du geantwortet?“
    „Ein ‚Ja‘ natürlich.“
    „Ganz recht. Du wirst dich also drei Uhr bereithalten.“
    „Ich allein?“
    „Nein. Ich fahre auch mit, wenn auch anderer Wagenklasse.“
    „Recht so. Aber wie fangen wir das Ding an?“
    „Wir kommen noch vor Abend hin. Du wirst dich mit ihm wohl in irgendeine Kneipe begeben müssen, um die Zeit abzuwarten.“
    „Natürlich. Vor Mitternacht kann nichts geschehen.“
    „Unterdessen spreche ich mit dem Gerichtsamtmann. Man wird euch nichts in den Weg legen. Ihr holt den Schlüssel aus der Expedition; der Gefängniswärter muß sich durch den Garten entfernen, ganz so, als ob er wirklich zu seiner Geliebten gehe, und dann bringst du ihn herein.“
    „Und drin wird er sofort festgenommen.“
    „Natürlich!“
    „Na, dann haben wir ihn endlich!“
    Das war in einem frohen Ton gesagt. Der Fürst aber ging einige Male auf und ab und fragte dann:
    „Du glaubst also, daß er wirklich kommt?“
    „Natürlich! Er schreibt es ja!“
    „Ich glaube nicht daran. Es handelt sich hier um eine wahre Mausefalle,

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