65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Wahrheit.“
„Oho!“ sagte Randau ungläubig. „Das machst du allen weis, aber nur mir nicht!“
Er hatte das Bild, und Hilda Holm war doch keine Schuhmacherstochter.
„Ja, man sollte es eigentlich für unmöglich halten“, meinte Hagenau; „aber es ist dennoch so. Darum kann ich mich auch selbst gar nicht begreifen. Ich bin seit kurzer Zeit ein ganz anderer Mensch geworden. Ich esse nicht, ich trinke nicht, ich spiele nicht, ich rauche nicht –“
„Was tust du denn?“
„Sapperment, ich rede mit dem Mond und rasiere mich täglich fünfmal, um so glatt wie möglich zu sein. Schau, dort steckt die Puderquaste, und da liegt der Liebesbriefteller. So verrückt macht einen ein hübsches Gesicht.“
„Darf man neugierig sein?“
„Warum nicht? Ich mache regelmäßig meine Spaziergänge. Da begegnete sie mir eines schönen Tages. Als sie an mir vorüber wollte, stockte ihr kleines Füßchen; sie sah mir neugierig und allerliebst freundlich in das Gesicht, errötete, schlug die Augen nieder und ging dann weiter. Das frappierte mich natürlich.“
„Ist sie hübsch?“
„Wie eine – hm! Wenn ich Maler wäre, sie müßte mir zur Psyche sitzen.“
Randau lächelte. Er wußte ja, daß Hilda bei dem Ballettmeister einmal fast gezwungen worden wäre, als Psyche Modell zu sitzen. Er sagte nichts und fragte weiter:
„Wie alt?“
„Leider sehr jung. Vielleicht achtzehn.“
„Blond?“
„So mittelblond, schlank aber voll. Sie läßt ahnen, daß sie sich in einigen Jahren zu einer wirklichen Schönheit entwickelt haben wird.“
„Du hast sie natürlich wieder gesehen?“
„Wie kannst du nur fragen! Ich war sofort weg, und wer weg ist, der rennt ja nur immer hinter derjenigen her, welche Diejenige ist. Du hast das jedenfalls auch an dir erlebt?“
„So ziemlich.“
„Na also! Kurz und gut, als sie vor mir stehenblieb und mich so eigentümlich und errötend anblickte, da war es mir wie – wie – Donnerwetter, wie doch nur gleich?“
„Als hättest du Klöße mit Sauerbraten gegessen?“
„Unsinn! Es gab mir so einen Stich – einen Stich – hm, ja, einen Stich gab es mir.“
„Wo denn?“
„Das kann ich eigentlich nicht sagen; er schien durch und durch zu gehen, tat aber keineswegs weh.“
„Das war Amors Pfeil.“
„Amors Pfeil? Du, ja! Sapperment, das ist der richtige Ausdruck! Und der Pfeil sitzt tief und fest.“
„Trotz der Schusterstochter?“
„Trotzdem. Natürlich machte ich kehrt und folgte ihr.“
„Richtig! Ganz wie Schiller sagt: Errötend folgt er ihren Spuren.“
„Nun, errötend zwar nicht, sondern recht neugierig. Ich mußte wissen, wer sie war.“
„Du hast es erfahren?“
„Hol's der Teufel, nein.“
„Na, na, na, na! Wer soll das glauben!“
„Es ist wahr. Ich sah, daß sie in das Hotel Union ging. Ich will dir gestehen, daß ich dann drei Viertelstunden lang Pflaster gestampft habe; aber sie kam nicht wieder heraus.“
„O weh!“
„Ja, ich habe auch das Blaue vom Himmel herunter geflucht, ohne daß es etwas half. Länger konnte ich nicht da vor der Tür auf und ab laufen; das wäre aufgefallen. Ich mußte also leider fort.“
„Da hieß es: Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist so schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr.“
„So war es allerdings. Sie hatte es mir angetan. Ich sage dir, ich war wie verhext. Ich hätte singen und zwitschern können wie eine Heidelerche, aber auch räsonieren wie ein Rohrspatz, daß sie nicht wieder herausgekommen war. Es war mir, als ob ich das große Los gewonnen habe, und im nächsten Augenblick hätte ich wetten können, als ob die größte Niete gerade nur auf mich gefallen sei. Die Liebe ist ein verrücktes, aber auch ein höchst angenehmes Ding. Ich bin hier auf der Stube auf und ab gelaufen wie ein Bieresel und habe nur immer mit mir selbst gesprochen. Im Schlaf habe ich dann natürlich von ihr geträumt und als ich am anderen Morgen aufstand, habe ich die Hosen als Unterjacke angezogen und bin mit dem rechten Fuße in den linken Stiefel gefahren. Hältst du so etwas für möglich?“
„Oh, sehr!“ lachte Randau.
„Dann ist es dir also auch so gegangen?“
„Genauso!“
„Gott sei Dank! Ich dachte schon, ich sei eine außerordentliche anthropologische Abnormität und hatte schon Angst, daß der erste beste Raritätensammler auf den Gedanken kommen könne, mich in Spiritus zu setzen und für Geld sehen zu lassen. Denn denke dir, was weiter passierte! Du wirst es kaum
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