65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
sich eine so gute Gelegenheit findet, die Übeltäter samt ihren Metzen zu bestrafen? Schämen Sie sich!“
Das wirkte sofort. Jette antwortete:
„Es wird doch wohl sehr schwer sein.“
„Ganz leicht, kinderleicht.“
„Wie soll es denn zugehen? Meinen Sie etwa, daß wir in das Palais einbrechen und die Diamanten holen?“
„Ja, freilich.“
„Herrgott! Mich schaudert! Wenn man uns erwischt!“
„Das ist unmöglich. Die beiden Wächter sitzen ja dort im Zimmer und werden sobald nicht heimkommen.“
„Sie meinen, wie es scheint, daß wir es heute tun sollen?“
„Natürlich! Heute gleich! Morgen sollen ja die Ringe gekauft werden.“
„Ich weiß nicht, wie das zusammenhängt.“
„Sehr einfach. Wir holen das Geschmeide, und ich gebe diesem Herrn Mehnert, welcher ganz vernarrt in mich ist, zwei von den Ringen, welche er an Anton und Adolf verkaufen muß, die sie dann ihren Mädchen schenken, bei denen sie gefunden werden. Ist das nicht einfach?“
„Ich finde es nicht so sehr einfach. Es ist dabei einiges noch sehr unklar. Wie können wir in das Palais?“
„Mit dem Schlüssel.“
„Ah, Sie haben einen Schlüssel! Wie kommt das?“
„Ein gescheites Mädchen setzt sich stets so bald wie möglich in den Besitz eines eigenen Haus- oder Hauptschlüssels.“
„Den darf der Schlosser doch nicht machen für Sie!“
„Für das Mädchen freilich nicht, aber für die Herrschaft. Das Mädchen hat nur dafür zu sorgen, daß die Herrschaft den Schlüssel verliert. Verstanden?“
„Ja“, nickte die Dicke verständnisinnig. „Das Mädchen stibitzt den Schlüssel weg, und die Herrschaft muß sich einen anderen machen lassen.“
„Ja, so ist's auch bei mir gewesen. Und zwar hat die Herrschaft von dem Verlust nicht einmal etwas gemerkt. Als die Baronin nach Rollendorf gekommen war, annektierte ich den Hauptschlüssel, und der Baron hat gar nicht an denselben gedacht. Ich brauche bloß den Schlüssel zu holen, so können wir in das Palais, ohne bemerkt zu werden.“
„Können Sie denn auch in die Kassette?“
„Ja. Ich habe auch diesen Schlüssel.“
„Auf dieselbe Weise?“
„Ja. Die Baronin dachte, sie hätte ihn verlegt. Sie wollte dem Herrn nichts wissen lassen und hat heimlich einen neuen bestellt. Sie natürlich mußte ihn bekommen.“
„Sind es viele Kostbarkeiten?“
„Na, gar so großartig wird der Fang nicht sein, denn in letzter Zeit stand es nicht so glänzend mit der Herrschaft, das habe ich bemerkt. Aber ein gutes Geschäft machen wir dennoch außer unserer Rache. Wir teilen, und dann heben wir uns die Sachen auf, bis wir sie verkaufen können.“
„Wollen Sie den Gang ins Palais nicht lieber allein machen, Fräulein Neumann?“
„Nein. Ich brauche eine zweite dazu, und die sind natürlich Sie. Oder wollen Sie vielleicht auf Ihre Rache verzichten?“
„Hm! Es ist doch sehr gefährlich.“
„Sie dauern mich.“
„Wenn man uns erwischt!“
„Kein Mensch wird uns erwischen. Wir sehen nach, ob irgendein Fenster erleuchtet ist. Ist das der Fall, so können wir es nicht wagen. Sind aber alle Fenster finster, so ist nicht das mindeste zu befürchten.“
„Man wird es sehen, wenn wir das große Tor öffnen.“
„Das werden wir eben nicht tun. Wir gehen durch das Pförtchen und die Zimmer des Herrn. Es ist mir da jeder Schritt bekannt. Sie leuchten natürlich.“
„Man wird das Licht von unten sehen!“
„Wenn wir es dumm anfangen, ja; aber wir werden es eben nicht dumm anfangen. Ich habe eine kleine Windlaterne, die man beliebig öffnen kann!“
„Es gibt auch noch weitere Unklarheiten. Selbst wenn wir die Geschmeide bekämen, würde es uns nichts helfen. Die beiden Polizisten würden ja sagen, daß sie die Ringe von Mehnert gekauft haben.“
„Der behauptet aber, daß dies nicht wahr ist. Er verkauft ihnen die gestohlenen, behauptet aber das Gegenteil. Er zeigt die Zeichnung zweier Ringe vor, welche er ihnen verkauft haben will, und diese Ringe werden auch bei ihnen gefunden. Dann sind die beiden Spione überführt.“
Die langsam denkende Jette schüttelte den Kopf. Die resolute Zofe aber fuhr in fast strengem Ton fort:
„Also entschließen Sie sich! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Machen Sie mit?“
„Ich möchte doch lieber verzichten!“
„So! Sie sind betrogen worden. Ihr Vater stirbt im Zuchthaus oder auf dem Schafott; Ihre ganze Familie ist ins Verderben gestürzt, und dafür lassen Sie ihren lieben Adolf jetzt Hochzeit und dann später
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