65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Verfolgter! Es ist undenkbar!“
„Gerade weil es undenkbar ist, wird man ihn nicht bei uns suchen!“
„Er wird aber bei uns gesehen werden.“
„Wieso?“
„Nun, man sieht ihn doch kommen!“
„Nein. Er muß des Abends kommen, wenn es finster ist. Wir selbst lassen ihn ein.“
„Die Dienerschaft wird ihn doch bemerken. Er hat ja seine Bedürfnisse. Er will verpflegt sein.“
„Wir quartieren ihn in das kleine Zimmer hinter deiner Bibliothek. Dort schließt er sich ein. Was er braucht, erhält er durch uns.“
„Das ist leichter gesagt, als getan.“
Der Freiherr stellte sich natürlich nur so, als ob er gegen den Plan seiner Tochter sei. Er hatte ihn ja vorhin erst mit ihr besprochen. Jakob Simeon sah ein, daß ihm gar nichts Vorteilhafteres geboten werden könne; darum sagte er in dringlichem Ton:
„Haben Sie keine Sorge, gnädiger Herr! Wenn Sie mich bei sich aufnehmen, sollen Sie nicht den mindesten Schaden davon haben, eher noch Vorteil.“
„Diese Vorteile möchte ich kennenlernen.“
„Oh, man kann ja gar nicht wissen, in welcher Weise ich Ihnen zu nützen vermag. Sie verfolgen ja mit der Kette eine Absicht, bei welcher – hm, wenigstens würde mich die Dankbarkeit zum tiefsten Schweigen nötigen.“
„Pah! Schon Ihr eigenes Interesse gebietet Ihnen, zu schweigen. Durch Plaudern würden Sie nur sich selbst in Gefahr und Schaden bringen.“
Da fiel seine Tochter ein:
„Die Hauptsache ist noch unerwähnt geblieben. Nämlich wenn Simeon ergriffen würde und man unser Geld bei ihm fände, würde er angeben müssen, von wem er eine so hohe Summe empfangen hat.“
„Ich würde es nicht verraten!“ beteuerte der Genannte.
„Das glaube ich; aber man würde es dennoch entdecken. Da die Kassenscheine numeriert sind, wird es der Polizei nicht schwer sein, zu erfragen, in wessen Hände sie sich zuletzt befunden haben. Jeder Bankier trägt die Nummern ein. Es liegt also sehr in unserem Interesse, daß der jetzige Besitzer nicht ergriffen wird. Bedenke das, lieber Vater!“
Erst nach einer Pause scheinbaren Nachdenkens antwortete der Freiherr:
„Du bist leider gewohnt, alles bei mir durchzusetzen!“
„Also du willigst ein?“
„Oho! So, so schnell geht das nicht!“
„Bedenke, es sind nur vierzehn Tage!“
„Diese Zeit ist lang genug!“
Da legte sich auch Simeon aufs Bitten und da sie ihm beistand, so gab sich der Freiherr den Anschein, als ob von ihrer Dringlichkeit seine Bedenken besiegt würden.
„Na“, meinte er, „so will ich mich nicht länger weigern. Aber ich schiebe alle Verantwortlichkeit von mir!“
„Es gibt keine Verantwortlichkeit. Unser Schützling wird sich in acht nehmen.“
„Das versteht sich ganz von selbst!“ sagte Simeon. „Also des Abends soll ich kommen?“
„Natürlich! Ich hoffe doch nicht, daß Sie sich am hellen, lichten Tag bei uns einstellen werden!“
„Nein. Ich warte die Dunkelheit ab. Bestimmen Sie mir die Zeit. Darf ich morgen kommen?“
„Morgen schon? Hm! Na, meinetwegen.“
„Wieviel Uhr?“
„Wenn alles schlafen gegangen ist, natürlich. Sagen wir, gerade um Mitternacht.“
„Und der Ort?“
„Haben Sie die Linde gesehen, welche am Fahrweg steht, der zum Schloß führt?“
„Ja.“
„Stellen Sie sich an diesem Baum ein. Ich werde Sie dort abholen. Aber bringen Sie keinerlei Gepäck mit. Was Sie brauchen, finden Sie alles bei uns. Und noch eine sehr strenge Bedingung mache ich. Nämlich auch Ihre Angehörigen dürfen nicht wissen, daß Sie bei mir sind.“
„Das ist ja ganz selbstverständlich. Sie erfahren es auf keinen Fall, damit man es ihnen nicht entlocken kann. Den Frauen ist in dieser Beziehung ja niemals ganz zu trauen.“
„So sind wir also einig. Gehen wir jetzt?“
„Ja, aber vorher noch eine Frage!“
„Sprechen Sie!“
„Wie steht es mit den anderen fünfundzwanzigtausend Gulden, gnädiger Herr?“
„Die bekommen Sie.“
„Ja, bitte!“
Er streckte die Hand aus, als ob er sie jetzt gleich haben wolle, aber Tannenstein sagte:
„Sie haben sie erst dann zu fordern, wenn alles geschehen ist, wenn wir das Wäschezeug haben.“
„Das holen wir uns doch jetzt!“
„Aber wir haben es noch nicht. Wir können gestört werden; es kann da vieles geschehen.“
„Was soll da geschehen! Sie haben das Geld doch mit?“
Auf diese direkt an ihn gerichtete Frage konnte der Freiherr mit keiner Unwahrheit antworten. Die Wahrheit wäre doch dann herausgekommen, und in diesem Fall hätte Simeon
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