65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
wissen.“
„Sie meinen also, daß wir die Leiche nicht aus sicherer Verwahrung geben?“
„Ich rate zur Vorsicht, welche ja auf keinen Fall schaden kann.“
Als er die drei Verbände angelegt hatte, entfernten sie sich. Im Korridor kam ihnen der Schließer entgegen.
„Meine Herren“, meldete er, „soeben ist der Apotheker gestorben.“
„Wirklich!“ meinte der Staatsanwalt. „Da sollte der Gerichtsarzt noch da sein.“
„Er ist noch da. Der Herr Wachtmeister schickte mich zu Ihnen; ich traf unterwegs den Herrn Doktor und führte ihn in die Zelle des Toten. Er befindet sich noch dort.“
Sie hatten die angegebene Zelle noch nicht erreicht, so trat der Gerichtsarzt heraus. Er sah sie kommen und sagte:
„Hier gibt es wieder Blut auf Flaschen zu ziehen, meine Herren. Der Giftmischer ist verschieden.“
„Ist er tot?“ fragte der Staatsanwalt.
„Ohne allen Zweifel. Vielleicht aber tut der Herr Kollege Zeichen und Wunder und weckt ihn wieder auf.“
Er eilte fort, die Herren aber traten in die Zelle. Doktor Zander ergriff die Hand Horns, untersuchte Puls und Atem und sagte dann:
„Tot! Aber sind wir bei dem einen vorsichtig gewesen, so können wir es auch bei dem anderen sein. Da er erst jetzt gestorben ist, wird es genügen, eine Handvene zu öffnen.“
Er hatte recht. Er bekam so viel Blutwasser als zu einer chemischen Untersuchung genügte und verband die kleine Wunde mit einer Sorgfalt, als ob er einem Lebenden zur Ader gelassen habe.
Jetzt wurde beraten, wo die Toten aufzubewahren seien, und der Staatsanwalt bestimmte, daß der Apotheker zu dem Schuster Seidelmann zu schaffen sei. In der Krankenstation waren sie gut aufgehoben. Von einer Flucht war keine Rede, da die Station ja im Gefängnis lag.
„Außerdem sind sie ja nackt“, meinte der Assessor. „In diesem Zustand würde es ihnen, falls sie ja wieder lebendig würden, wohl nicht möglich sein, zu entkommen.“
„Und“, fügte der Staatsanwalt hinzu, „ich werde dem Wachtmeister sagen, daß von Stunde zu Stunde die beiden Leichen revidiert werden. Es handelt sich hier um einen Fall, welcher eine solche Vorsicht entschuldigt, obgleich sie dem Herrn Gerichtsarzt lächerlich erscheint.“
Als sich Zander mit dem Fürsten unterwegs befand, zog er die beiden Fläschchen hervor, betrachtete sie nochmals aufmerksam und meinte dann:
„Hier im Wagen auf der Straße ist es heller als in der Zelle. Mir scheint es, als ob dieses Blutwasser eine ganz eigentümliche Färbung habe. So gesund rötlich sieht Wasser aus, in welchem man frisches, mageres Rindfleisch gewaschen hat. Waschen Sie aber einmal faules Fleisch, dann wird das Wasser ein schmutziges Aussehen erhalten. Ich sehe die Möglichkeit ein, daß ich mich vor diesem Herr Gerichtsarzt ungeheuer lächerlich mache; aber ich will diese Blamage riskieren. Ich spiele in einer Lotterie, in welcher tausend Nieten gegen einen einzigen Gewinn stehen. Desto größer ist das Glück, wenn ich den Treffer ziehe.“
„Und ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich ein ungewöhnliches Vertrauen zu Ihnen hege. Ihre Kenntnisse sind so bedeutend, wie das Glück groß ist, welches Sie besitzen. Und dieses letztere ist ja nicht das Geringste, was einem Arzt zu wünschen ist. Sie sind ja durch Ihre letzten Kuren förmlich berühmt geworden. Wie steht es denn jetzt mit Doktor Holms Vater?“
„Wir haben nicht weit hin. Wollten Sie mich vielleicht begleiten, Durchlaucht?“ fragte Zander lächelnd.
„Das klingt verheißungsvoll!“
„Ja. Ich habe die Elektrizität in Anwendung gebracht. Es würde mich freuen, Ihnen den Erfolg zeigen zu dürfen.“
„Ich fahre mit. Und wie steht es mit der armen Frau des Theaterdieners Werner?“
„Hm! Wir können ja gleich vom Altmarkt zu ihm fahren. Seine Frau litt keineswegs am Krebs, sondern an einer Gesichtsflechte, welche nur infolge einer ungeheuer verkehrten Behandlung einen solchen Grad von Gefährlichkeit annehmen konnte. Und dann – aber ich glaube, daß ich Ihre kostbare Zeit zu sehr in Anspruch nehme!“
„Inwiefern? Gibt es noch einen Ort, an den ich mit Ihnen fahren soll?“
„Ja; in meine Wohnung.“
„Was gibt es da?“
„Da warten nämlich bereits zwei, welche gar nicht wissen, was sie bei mir wollen, nämlich Marie Bertram und der Mechanikus Fels.“
„Ihr früherer Geliebter?“
„Ja.“
„Was haben Sie mit den beiden vor?“
„Nun, es versteht sich ganz von selbst, daß ich mich für die Familie Bertram, welche unter
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