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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wissenschaft sich nie gekränkt fühlen kann, wenn er einen Fingerzeig erhält, der sich nicht auf seine Person, sondern auf die Sache bezieht.“
    Doktor Zander richtete freundlich bittende Worte an den selbstbewußten Kollegen; die anderen beiden sprachen auch zur Sühne, und so konnte er endlich nicht anders, als auf ihre Intention eingehen.
    „Nun gut“, sagte er, „ich will nicht länger widerstreben; aber ich bin überzeugt, daß es vollständig unnötig ist. Haben Sie den ganzen Aderlaßapparat mit?“
    „Ja, und sogar noch einiges dazu.“
    „So nehmen Sie selbst die Operation vor; denn ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Leiche zur Ader gelassen und werde es auch künftighin nicht tun. Bitte, bewaffnen also Sie sich mit der Fliete oder dem Schnepper, Herr Kollege!“
    Das war in sehr hörbarem Hohn gesprochen. Zander aber antwortete in überlegener Ruhe, indem er das Etui und einige Fläschchen aus der Tasche zog:
    „Oh, über den Schnepper und die Fliete sind wir ja längst hinaus. Wir nehmen die Lanzette.“
    „Schön! Aber wozu die Fläschchen? Wollen Sie vielleicht das Leichenwasser auf Flaschen ziehen?“
    „Warum nicht?“
    „Na, wenn es Ihnen Spaß macht, dann meinetwegen. Also, hier liegt die Basilika-Vene!“
    Er hatte die Hand des Toten ergriffen und deutete auf die Stelle, an welcher die genannte Ader lag. Es war ja eine Zurücksetzung Zanders, wenn diesem dieser Ort erst gesagt und gezeigt werden mußte. Dieser aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen und antwortete:
    „Erlauben Sie, daß ich lieber die Mediana-Vene nehme; die liegt ja am bequemsten.“
    Das war eine kollegiale Ohrfeige, welche der zornige Mann erhielt. Er trat zurück und schwieg. Zander aber öffnete die Vene.
    „Hm!“ sagte er. „Kein Blut, nicht einmal ein Tropfen Wasser! Nehmen wir einmal den Fuß.“
    Auch da gab es keinen Erfolg. Da stieß der Gerichtsarzt ein befriedigtes Lachen aus und sagte:
    „Vielleicht machen die Herren doch nun eine Erfahrung, daß eine Leiche, bei welcher die Todesstarre eingetreten ist, kein Blut mehr haben kann!“
    „Noch haben wir die Drosselader und die Stirnvene“, antwortete Zander. „Versuchen wir es mit der ersteren.“
    Kaum war die Lanzette in die genannte Ader eingedrungen, so spritzte eine Flüssigkeit heraus, welche einem schmutzigen Wasser ähnlich sah. Zander hielt eins der kleinen Fläschchen hin, bis es voll war. Freilich währte der Erguß dieses Wassers nur wenige Sekunden.
    „Blutwasser, welches in einigen Stunden in Verwesung übergehen wird“, sagte der Gerichtsarzt achselzuckend.
    Zander aber trat an das vergitterte Fenster, hielt das Fläschchen gegen das Licht und betrachtete es eine sehr lange Weile. Dann steckte er es ein, trat an die Leiche zurück und zog eine Aderbinde hervor. Da konnte sich sein Kollege nicht halten. Er rief:
    „Was! Sie verbinden eine Leiche?“
    „Ich verbinde alle drei Öffnungen, welche ich gemacht habe, denn ich will nicht, daß dieser Mann sich verblute, falls er ja noch leben sollte.“
    „Sie glauben also wirklich noch, daß er leben kann?“
    „Ja, es ist die Möglichkeit vorhanden. Es gibt Gifte, nach deren Genuß sich die Tätigkeit des Herzens gar nicht mehr bemerken und nachweisen läßt, außer wenn man mit einem Messer in das Herz selbst stößt. Das aber würde Mord sein. Hört die Wirkung des Giftes auf, so beginnt die Tätigkeit des Herzens wieder, das Blut erhält seine frühere chemische Zusammensetzung und füllt die Adern, und der Tote steht so ruhig wieder auf, als ob er sich zum Schlaf ins Bett gelegt hätte. Dieser Fall scheint mir hier möglich. Ich nehme also dieses Blutwasser mit, um es chemisch zu untersuchen. Diese Untersuchung wird uns Gewißheit geben, ob wir es mit einer Leiche zu tun haben oder nicht.“
    Da stieß der Gerichtsarzt ein lautes Lachen aus und rief:
    „Wünsche guten Erfolg, Herr Kollege! Adieu, meine Herren!“ Dann rannte er fort. Er hätte sich nicht zurückhalten lassen, selbst wenn die drei Herren den Versuch dazu gemacht hätten.
    Der Staatsanwalt sagte:
    „Ein Mann, mit dem sich niemals reden läßt. Ich hoffe, daß er tut, was er vorhin andeutete. Man stellt doch lieber eine Kraft an, welche auf der Höhe der wissenschaftlichen Erfahrung steht. Bis wann kann Ihre Untersuchung beendet sein, Herr Doktor?“
    „Binnen drei oder vier Stunden kenne ich die mechanische Zusammensetzung des Blutes; ob das letztere ein Gift enthält, das werde ich erst morgen

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