65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
unschuldig ist, auf sich nehmen. Komm, hier wohnt der Konditor. Wir wollen diese dummen Gedanken lassen; es gibt heute ja weit Besseres zu tun!“
Als die beiden dann des Wachtmeisters Wohnung erreichten, fanden sie die beiden Polizisten anwesend. Anton erklärte, daß er beim Pfarrer gewesen sei, daß verschiedene Papiere gefordert würden und daß auch Anna mit dem Vater zum Pfarrer kommen müßte, um ihre Zustimmung zu geben. Während dieser geschäftlichen Verhandlungen bekam Emilie ihre Unbefangenheit wieder, welche ihr abhanden gekommen war, als sie bemerkt hatte, daß der zugleich Gefürchtete und Geliebte schon anwesend war.
Die kleine Versammlung wurde recht munter, zumal Anton für Wein gesorgt hatte. Die beiden Köhlerleute trugen nicht wenig dazu bei und versicherten ein über das andere Mal, daß sie diesen Abend nicht vergessen würden in ihrem ganzen Leben.
Es war bereits gegen Mitternacht, als Emilie erklärte, daß sie nun aufbrechen müsse: Sie wurde gebeten, noch zu bleiben, ließ sich aber nicht halten. Als sie sich erhoben hatte, stand auch Adolf von seine Stuhl auf.
„Was? Auch du willst fort?“ fragte Anton.
„Ja. Die Kette ist nun doch gesprengt, da Fräulein Werner geht. Übrigens wird es dir doch wohl nicht unlieb sein, wenn auch ich mich entferne.“
„Warum das?“
„Geteiltes Glück ist halbes Glück.“
„Ach so!“
„Ihr werdet euch genug zu sagen haben, wobei ihr keinen anderen braucht. Oder guckt ihr euch nur so im stillen an. Es soll Liebesleute geben, die sich stundenlang in das Gesicht sehen, ohne ein Wort dabei zu sprechen, und doch ganz selig sind. Versucht es heute einmal!“
Die beiden verabschiedeten sich. Unten an der Haustür ging eigentlich ihr Weg auseinander. Emilie hatte links, Adolf aber rechts zu gehen. Was den letzeren betraf, so war er keineswegs mit Anton zu vergleichen, dem die Liebe den Mut genommen hatte. Er fragte, ob er Emilie begleiten dürfe, und sie gab ihre Einwilligung, wenn auch mit zagendem Herzen. Als sie zunächst eine kurze Strecke schweigend nebeneinander gegangen waren, fragte er:
„Erinnern Sie sich wohl noch eines Abends, an welchem ich ebenso wie jetzt an Ihrer Seite ging?“
„Ja“, antwortete sie.
„Darf es ebenso sein wie damals?“
Er nahm ihren Arm und sie ließ es geschehen. Er sagte:
„Nicht wahr, damals durfte ich Sie führen?“
„Es kann sein.“
„Ah, Sie erinnern sich nicht mehr genau?“
„Nein.“
„Dann ist Ihnen meine Begleitung jedenfalls sehr gleichgültig gewesen?“
Sie antwortete nicht. Darum fuhr er fort:
„Ich dachte damals, daß ich Sie recht oft wiedersehen würde; ich hatte mich darauf gefreut, aber leider ist es nicht geschehen.“
Sie seufzte leise, doch hörte er es.
„Wissen Sie vielleicht noch, Fräulein Werner, wie gern ich an meinem Fenster stand und zu Ihnen hinüberblickte?“
„Ich sah Sie allerdings zuweilen dort.“
„Und plötzlich war ich fort!“
„Ja“, hauchte sie. Er war ja ihretwegen fortgegangen.
„Das hatte seinen Grund, den ich Ihnen heute sagen will, obgleich man von solchen Dingen nicht mehr spricht. Sie kennen wohl meine damalige Wirtin?“
„Ja.“
„Sie war eine Witwe, kinderlos und nicht häßlich. Ich hatte schon längst gemerkt, daß sie mir Interesse zeigte, für welches ich keine Dankbarkeit empfand. An jenem Abend nun hatte sie gesehen, daß ich Sie nach Hause begleitet hatte. Das erregte ihre Eifersucht. Sie wurde aufrichtig, sie sprach von ihrer Liebe. Als ich ihr einfach sagte, daß ich nicht gesonnen sei, mir von ihr einen Heiratsantrag machen zu lassen, weinte, jammerte und zürnte sie. Es gab eine widrige Szene, infolge deren ich ihr eröffnete, daß ich gleich des anderen Morgens mich nach einer anderen Wohnung umsehen werde. So also kam, daß ich nicht mehr am Fenster stand.“
Es wurde Emilie ganz eigentümlich um das Herz.
„Deshalb also sind Sie so plötzlich ausgezogen?“ fragte sie.
„Ja. Dachten Sie sich einen anderen Grund?“
„Ja“, entfuhr es ihr.
„Darf ich ihn erfahren?“
„O bitte, nein! Ich kann nicht davon sprechen.“
„Wie Sie wünschen, Fräulein. Ich hätte Sie trotz des Wohnungswechsels wiedersehen können. Es ist ja alles möglich zu machen, was man sich wünscht, aber –“
„Aber Sie wünschten es nicht!“ fiel sie ein.
„Wie? Sie meinen, ich hätte nicht gewünscht, Sie wiederzusehen?“
„Ja.“
„Da irren Sie allerdings. Ich war so glücklich darüber gewesen, daß ich Sie an
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