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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gottloses Kreischen und Klingen, ein Jauchzen und Jubilieren, ein trunkenes Gewirr von Tönen, Akkorden, Trillern, Läufern und Kadenzen; es war zum Rasendwerden. Kein Mensch kam mehr hin. Die Zigeunerin hatte eine Geige mitgebracht gehabt, eine alte Fiedel, nicht zehn Kreuzer wert, die hatte man bei ihrer Leiche nicht gefunden. Natürlich hatte sie sie ins Grab nachgeholt und mußte nun ruhelos spielen alle, alle Nächte, bis in die Ewigkeit.
    Und wieder nach längerer Zeit war ein neuer Kantor in das Dorf gekommen, ein Herr, welcher glaubte, daß auch ein Heide selig werden könne, wenn die Zeit des Fegefeuers vorüber sei. Der hatte von der unterirdischen Musik gehört und war so mutig gewesen, zur Mitternachtszeit nach dem Grab zu gehen. Dort hatte er fast bis zum Anbruch des Morgens gesessen, und am Abend, als er mit den Bauern unter der Linde saß, erzählte er, daß die Musik wirklich zu hören sei, etwas Gotteslästerliches aber sei nicht daran. Ein Geist spiele nicht Violine, meinte er, es walte hier ein Geheimnis, welchem man schon noch auf die Spur kommen werde. Er gab sich Mühe, andere nun auch, aber das Rätsel konnte nicht gelöst werden; es war eben ganz gewiß, daß die Zigeunerin spiele. Aber es war doch nun wenigstens so weit gekommen, daß das Grauen von dem Ort verschwunden war und daß des Abends zuweilen ein Neugieriger stehenblieb, den geheimnisvollen Tönen eine kleine Weile lauschte und nachher, den Kopf schüttelnd und drei Kreuze schlagend, wieder weiterging. So stand es noch heute.
    Also die Töne, welche jetzt aus der Wohnung des maestro di musica Signor Antonio Rialti klangen, waren nicht die einzigen derart bestrickenden, welche hier gehört worden waren. Die ruhelose Seele der Zigeunerin spielte auch jetzt noch ihre schluchzenden Klagen und ihre jauchzenden Jubilosos.
    Während also der Italiener den Kapellmeister seine Bravourstücke hören ließ, um eine Auswahl treffen zu können, war die Unterredung des Müllers mit dem Fingerl-Franz beendet worden, und der erstere sagte:
    „Jetzt nun sind wir einig worden, und es wird Zeit, den Halunken kommen zu lassen, den Fex.“
    „Vielleicht kommt's ihm in den Sinn, alles zu leugnen. Was wirst da tun?“
    „Er soll nur leugnen; da macht er's nur noch schlimmer. Übrigens ist doch zuerst die Paula dabeigewesen; die kann bezeugen, daß er dich von hinten angefallen hat.“
    „Ja, weißt, die hat auch so ein weiches Herz wie Butter. Der ihr Gemüt läuft halt auseinander wie Schnee in der Sonne. Wann sie bemerkt, daß du den Fex strafen willst, wird sie ein gutes Wort für ihn einlegen, und, wenn dies nix hilft, die Sach wohl gar ganz anders darstellen, als sie sich ereignet hat.“
    „Das kenn ich auch schon bereits, aber damit lockt sie mir den Hund nicht vom Ofen fort. Ich werd auch nicht so kopfüber ins Zeug springen. Er soll seine Straf empfangen, aber nicht auf einmal, daß er sie bald los ist, sondern so nach und nach, damit er recht lang daran zu tragen hat.“
    Er ergriff die alte Klarinette, welche an seinem Stuhl hing, und blies hinein. Es war ein kurzes, aus drei Tönen bestehendes Signal, welches er gab, fast so wie beim Militär.
    Es wurde draußen nicht sofort vernommen, so daß er es zweimal wiederholen mußte; dann trat ein Knecht herein.
    „Was ist denn das?“ donnerte er diesen an, indem er mit der Peitsche drohend hin und her schwippte. „Habt ihr keine Ohren mehr! Ich will euch welche machen! Lauf schnell hinüber zum Wasser und sag dem Fex, daß er herbei zu mir kommen soll! Ich hab mit ihm zu reden.“
    Und als der Knecht sich umdrehte, um hinauszugehen, holte der Müller aus und schlug ihn mit der Peitsche so sicher und so kräftig in die nackten Kniekehlen, daß er laut aufschrie und mit einem raschen Sprunge draußen stand. Dann lief er, so schnell es ging, hinüber zur Fähre. Dort saß der Fex am Ufer. Er lauerte auf Paula, welche er ja überfahren mußte, wenn sie nach Hause wollte.
    Als er hörte, daß er zum Müller solle, stand er auf, ohne eine Miene zu verziehen, obgleich er ziemlich wohl wußte, weshalb er geholt wurde.
    „Aber nimm dich fein zusammen, Fex!“ warnte der Knecht. „Der Alte hat schlechte Laune.“
    Auch hierauf sagte er kein Wort. Während der Knecht schnell zurückkehrte, ging der Fex langsamen Schrittes auf die Mühle zu. Da plötzlich blieb er stehen. Er hatte die Violine des Konzertmeisters gehört. Er lauschte einige Augenblicke. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an.

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