69 - Der Weg zum Glück 04 - Die Rivalen
Dieser erhielt ebenso seine Instruktion wie sein beim Müller in dessen Stube befindlicher Kollege, dann begab der Assessor sich nach der Stadt.
Der Sepp hatte sich wieder vor die Mühle an den Tisch gesetzt, rauchte seine alte Pfeife und trank ein Bier dazu. Der Fex aber hatte nun eine schwere Pflicht zu erfüllen: Er mußte zu Paula gehen, um sie möglichst zu beruhigen.
Sie hatte sich eingeschlossen und wollte niemand zu sich lassen; als er aber seinen Namen nannte, öffnete sie ihm die Tür. Sie schien vollständig in Schmerz und Tränen aufgelöst zu sein und machte, als er eintrat, eine Bewegung, als ob sie sich in seine Arme werfen wollte, blieb aber auf halbem Wege stehen und ließ die Arme sinken. Dann hob sie dieselben wieder, verbarg ihr Gesicht in den Händen, legte den Kopf an die Wand und brach in ein herzbrechendes Schluchzen aus.
Er zog die Tür hinter sich zu, trat zu ihr, legte ihr die Hand leise auf die Schulter und sagte in bittendem Ton:
„Paula, willst mich wohl nimmer anschauen?“
Es war, als ob sie eine Antwort geben wolle, aber das Schluchzen erstickte ihre Worte.
„Magst nun wohl gar nix mehr von mir wissen?“
Er wartete auf eine Antwort von ihr – vergebens. Ihr ganzer Körper erbebte unter der Gewalt des Schmerzes, der heut über sie gekommen war. Da legte er den Arm um sie und zog sie an sich. Sie ließ es willenlos geschehen. Sie duldete es auch, daß er ihren Kopf an sein Herz bettete; aber sie weinte fort und brachte kein Wort hervor.
Da überkam auch ihn eine bittere, große Traurigkeit. Er war es ja, um dessentwillen das Unglück heute über diejenige, welche er über alles liebte, gekommen war; er gab sich die Schuld, obgleich er daran unschuldig war. Hätte er dieses gewaltige Herzeleid nicht von ihr wenden können, fragte er sich. Nein, lautete die Antwort. Ihr Vater war dem Arm der göttlichen Gerechtigkeit verfallen, und wann er von demjenigen der menschlichen ergriffen wurde, das war bis heut nur eine Frage der Zeit gewesen.
Mit diesem Gedanken beruhigte sich der Fex. Freilich machte ihm der gewaltige, wortlose Schmerz der Geliebten schwere Sorge. Wenn er sie nur erst wieder zum Sprechen brächte!
Er zog sie zu sich auf einen Stuhl, nahm sie auf den Schoß, schlang beide Arme um sie und flüsterte ihr in innigstem und teilnahmsvollstem Ton zu:
„Meine liebe, liebe Paula, du darfst es dir nicht zu sehr zu Herzen nehmen! Alle, alle wissen ja, daß du unschuldig bist und mit den Taten deines Vaters nichts zu tun hast.“
„Aber es ist ja mein Vater!“ stieß sie unter herzbrechendem Schluchzen hervor. „Seine Schuld fällt also auch auf mich.“
„Nein, kein Mensch kann so unbillig denken, einem Kind die Handlungen des Vaters entgelten zu lassen. Bedenke, daß ich es bin, der hier am meisten in Betracht kommt. Und grad ich weiß es am allerbesten, wie rein und schuldlos du bist. Ich möchte denjenigen sehen, der es wagen wollte, dir eine Kränkung oder gar Beleidigung zuzufügen.“
Da blickte sie ihm mit einem trostlos zwischen Tränen hervorbrechenden Ausdruck an und antwortete:
„Du ja, du hast den guten Willen. Dein gutes Herz rechnet mir die Sünden meines Vaters nicht an. Aber andere denken nicht so edel und gerecht wie du. Der Schatten von dem, was mein Vater tat, fällt auf mich. Mein Leben wird von jetzt an so dunkel und traurig sein, daß ich mir lieber den Tod als ein längeres Dasein wünschen möchte.“
„Um Gottes willen, was sind das für Gedanken?“ rief er erschrocken.
„Gedanken, welche sich auf den Willen Gottes gründen“, antwortete sie.
„Nein, nein, und tausendmal nein! Gott will nicht, daß der Gerechte mit dem Ungerechten leide!“
„Hast du nicht gehört, daß er die Sünden der Väter heimsuchen will, bis in das dritte und vierte Glied der Nachkommen?“
„Und hast du nicht gehört, daß es einen Erlöser gibt, der alle Sünde tragen will, der die Mühevollen und Schwerbelasteten einlädt, zu ihm zu kommen? Kennst du nicht den guten Hirten, welcher selbst das verlorene Schaf auf seine Schultern nimmt, um es zur Herde zurückzutragen? Und du bist es ja gar nicht, die verloren ist. Der Schmerz, der gewaltige Schreck über das, was du erfahren mußtest, haben dir das Vertrauen genommen und den Lebensmut geraubt. Wenn einige Tage vergangen sind, wirst du Trost und neuen Mut finden.“
„Nie, niemals wieder!“
„Das darfst du nicht sagen. Diese Kleingläubigkeit ist eine Sünde, deren du dich nicht schuldig machen
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