69 - Der Weg zum Glück 04 - Die Rivalen
mehr zu sagen habe“, antwortete er stockend und in einem hörbar unsicheren Ton.
Sie blickte ihn forschend, fast streng an.
„Jetzt sagst du mir abermals die Wahrheit nicht, Fex!“
Er senkte den Blick, behauptete aber dennoch:
„Du weißt ja nun alles.“
„Nein. Ich sehe es dir an, daß noch mehr gegen meinen Vater vorliegt. Und selbst, wenn ich es dir nicht anmerkte, könnte ich es doch mit Sicherheit erraten. Warum hat er die beiden getötet? Nur um sie zu ermorden? Nein. Er muß eine verbrecherische Absicht gehabt haben, eine Absicht, zu deren Erreichung der Mord nur das Mittel war. Und das alles weißt du genau. Ich verlange, daß du es mir sagst. Vermute ich richtig oder nicht?“
Ihr Blick ruhte dabei so scharf forschend auf ihm, daß es ihm unmöglich war, aus liebevoller Rücksicht auf ihren Seelenzustand ihr eine Unwahrheit zu sagen.
„Ja“, antwortete er. „Deine Vermutung ist freilich richtig.“
„Ich wußte es. Also warum hat er deine Mutter ermordet?“
„Um sie zu berauben.“
„Zu berauben!“ wiederholte sie tonlos. „Also nicht nur ein Mörder, sondern sogar ein Räuber, ein Raubmörder ist er! Es ist mir, als ob der Himmel über mir zusammenbrechen wolle.“
„So wollen wir doch jetzt nicht weiter über diesen Gegenstand sprechen. Später, wenn du gefaßter bist, kannst du ja alles erfahren.“
„Nein. Ich habe vorhin gesagt, daß ich die Arznei ganz, bis auf den letzten Tropfen austrinken will. Ich mag sie nicht schluckweise zu mir nehmen. Also weiter! Warum tötete er deine Amme?“
„Weil sie wußte, was er getan hatte. Sie war eine Zeugin gegen ihn, die er aus dem Weg schaffen mußte.“
„Deshalb also, deshalb! Und du warst bei diesem Mord zugegen, und er leugnet trotzdem?“
„Ja. Vielleicht glaubt er, sich durch das Leugnen retten zu können.“
„Oder, ich wiederhole es, obgleich du mir da bereits widersprochen hast – vielleicht hat er es doch nicht getan!“
„Es ist kein Zweifel möglich. Ich habe es ganz deutlich gesehen.“
„Aber du warst ein kleiner Knabe, noch unzurechnungsfähig.“
„Meine Augen waren dennoch scharf, doppelt geschärft von dem Schrecken, unter welchem mein ganzer Leib erzitterte.“
„Wird aber dein Zeugnis gelten?“
„Warum nicht?“
„Ich habe noch nicht gehört, daß man auf die Worte eines so kleinen Kindes hin einen Menschen zum Tod verurteilt. Und zudem sind seit jener Zeit fast sechzehn Jahre vergangen.“
„Du magst recht haben. Ich kann darüber keine Auskunft erteilen und wünsche um deinetwillen herzlich gern, daß meine Aussage gar nichts gelten möge.“
„Auch das läßt sich nicht erwarten. Daß sie gar nichts gelten werde, ist nicht denkbar. Die Richter werden sie vielmehr sehr beachten; aber den Vater zu überführen, dazu reicht sie nicht aus. Und gibt es denn in Beziehung auf die Ermordung deiner Mutter Zeugen, welche ihm die Tat beweisen können?“
„Ich weiß es nicht. Die Amme ist tot, und sein Mitschuldiger, der Silberbauer, hat die Flucht ergriffen.“
„Dieser wird, selbst wenn man ihn wieder ergreift, sich hüten, ein Geständnis abzulegen und sich dadurch selbst mit in Strafe zu bringen. Es scheint also doch, daß der Vater recht hat, wenn er meint, daß das Leugnen ihm Nutzen bringen werde.“
„Mag es ihm gelingen. Ich gönne es ihm um deinetwillen, wie ich bereits bemerkt habe.“
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, holte tief und schwer Atem und entgegnete:
„Du verstehst mich falsch. Meinst du, daß ich meinen Vater entschuldigen will?“
„Das ist doch natürlich.“
„Natürlich wohl, aber nicht gerecht.“
„Jedes Kind hat das Recht, den Vater zu verteidigen, selbst wenn dieser gefehlt hat.“
„Meinst du? Ich habe den Vater niemals so geliebt, wie eine Tochter ihren Vater lieben sollte; aber selbst wenn ich ihm mit der zärtlichsten Zuneigung zugetan gewesen wäre, muß mir der Wille Gottes höherstehen, als die Rücksicht auf den Vater. Keine Liebe zu irgendeinem Menschen könnte mich vermögen, gegen die Stimme meines Gewissens zu handeln. Hat mein Vater gesündigt, so muß ich ihn verurteilen, ganz gleich, ob ich ihn liebe oder nicht. Und ich werde es nicht dulden, daß er durch Lügen die Schuld noch erhöht, welche jetzt bereits auf ihm lastet.“
„Willst du damit sagen, daß du beabsichtigst, ihn zu einem offenen Geständnisse aufzufordern?“
„Ja.“
„Das wird vergeblich sein.“
„Wahrscheinlich. Aber es ist meine Pflicht, den
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