69
Mann, der wie ein Beamter in Zivil aussah. Ich schaute zu dem Polizisten hoch und zitterte. Warum rasseln und klimpern Bullen beim Gehen immer so? Er trug schwere Schnürstiefel, und auch die machten eine Menge Lärm. Als die Slipper des Verbindungslehrers direkt vor mir standen, dachte ich, mein Herz würde explodieren. Auch das Rasseln und Klimpern und Stampfen des Bullen hatte aufgehört.
»Ihr da« , sagte der Verbindungslehrer.
Ich schaute zu ihm hoch und fühlte mich, als häte man alle Luft aus mir herausgeprügelt.
»Ihr werdet die Farbe nie abkriegen, wenn ihr so darauf herumreibt. Wir haben ein paar Fachleute bestellt, die das wegputzen werden. Ich verstehe, wie euch zumute ist, aber ich möchte, dass ihr zurück in eure Klassen geht. Die Klassenversammlung fängt gleich an, und wir halten die Abschlussfeier wie geplant. Nun lauft schon los.«
Ich war stinksauer auf mich, weil ich solch eine Angst gehabt hatte - ich hatte mir vorgestellt, wie wir verhaftet und auf der Stelle aufgeknüpft würden -, aber ich fühlte mich gleich viel besser, als ich den besorgten Ausdruck auf dem Gesicht des Verbindungslehrers und die tiefen Furchen zwischen seinen Augenbrauen sah. Das war der Kerl, der mich im Jazzcafé erwischt hatte, wo ich Antonio Carlos Jobim hörte, der mir mein Glas Cola weggenommen und mir ungefähr zehnmal Vorhand und Rückhand ins Gesicht geschlagen und dann dafür gesorgt hatte, dass ich vier Tage lang vom Unterricht ausgeschlossen wurde, einer von den Scheißkerlen, die sich daran aufgeilten, einem bei jeder Feier oder Versammlung oder einer ähnlichen Gelegenheit von den Übeln der Kriminalität zu predigen, komplett mit Zitaten von Konfuzius und allem, was dazugehört. Er war groß mit silbergrauen Haaren und hatte mehrere Bücher über die Strafgesetze in der Antike geschrieben, und seine Art, Scheiße auszuteilen, war so fies, wie sie nur sein konnte. Er verlor nicht einmal die Beherrschung, er sah einen nur kalt an und sagte: »Du bist Dreck, wir haben nicht genug Zeit, um aus dir einen anständigen Schüler zu machen, warum gehst du also nicht einfach ab oder suchst dir eine andere Schule, wenn es dir hier nicht gefällt?« Das war der Arsch, der jetzt mit hängenden Schultern und düsterem Blick zum Lehrerzimmer schlurfte. Ich hörte, wie der stellvertretende Rektor irgendwas von »der größten Schande in der Geschichte unserer Schule« sagte.
In der Geschichte unserer Schule. Adama und ich grinsten uns an und schüttelten uns noch einmal die Hände.
Adama schlug vor, einen Blick auf das Dach zu werfen. Nakamura kam mit uns.
»Du hast vorhin angefangen zu erzählen, dass irgendwas merkwürdig ist«, sagte Adama zu ihm, während wir die Treppe hochstiegen.
»Ja, also, seht ihr, es hat mich irgendwie schwer belastet, also hab ich heute Morgen, als ich zur Schule gekommen bin, erst mal beim Büro vom Rektor vorbeigeschaut, und wisst ihr was? - Es hat nicht mal gestunken oder so.«
»Das überrascht mich nicht. Kacke ist wohl das Erste, was sie wegputzen.«
»Ach ... jetzt, wo du es sagst, ich glaube, ich habe Desinfektionsmittel oder so was gerochen.«
»Wahrscheinlich die Wachmänner. Sie müssten um sechs oder so aufgestanden sein. Als sie die Graffiti entdeckt haben, sind sie wohl völlig durchgedreht und haben erst mal im Lehrerzimmer und im Büro vom Rektor nachgeguckt. Als sie dann die Bescherung gesehen haben, haben sie sie sofort weggewischt. Schließlich ist ein Haufen Scheiße ... Also, es ist nicht unbedingt witzig.« Adama war so gelassen und logisch wie immer.
»Hä, was meinst du damit, ›nicht unbedingt witzig‹?«
»Nakamura«, sagte ich, »glaubst du, Scheiße hat irgendeine ideologische Bedeutung?«
»Ideologische Bedeutung? Scheiße? Nein, ich glaube nicht.«
»Sogar früher vor dem Krieg hat die Geheimpolizei politischen Verbrechern ein bisschen freie Hand gelassen, aber Leute, deren Verbrechen irgendwas mit Ideologie zu tun hatten, wurden einfach so gekreuzigt. Und wir reden hier über Scheiße, Mann. Das ist nicht nur ekelhaft, das ist unglaublich, komplett verrückt.«
»Moment mal, Ken-san.« Nakamura hielt mitten auf der Treppe an. »Du bist derjenige, der mir gesagt hat, ich soll es tun!«, jammerte er.
»Was glaubst du eigentlich, wie viele Oberschüler auf einen Schreibtisch scheißen würden, nur weil jemand es ihnen gesagt hat? Kapierst du’s nicht, wenn man einen Witz macht?«
Inzwischen heulte er fast. Adama legte ihm einen Arm um die
Weitere Kostenlose Bücher