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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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und auf der Farbe herumgerubbelt. Er packte mich mit der Hand, in der er den Lappen hielt, am Kragen.
    »Yazaki, das warst doch nicht du, oder? Hm? Du hast das nicht getan, oder, du warst das nicht? Ich kann einfach nicht glauben, dass ein Schüler der Nördlichen seiner eigenen Schule das antun würde, aber sag’s mir, na komm schon, sag mir, dass du es nicht getan hast, sag’s mir, verdammt noch mal, sag’s mir!«
    Der Lappen in seiner Hand war kalt, und ich mochte es gar nicht, dass er ihn mir in den Nacken presste. Ich überlegte, ob ich ihm eine knallen sollte, aber ich hatte Angst, Aufmerksamkeit zu erregen, also starrte ich diesen bebrillten Kotzbrocken mit vorstehenden Zähnen, der schon mit siebzehn grau wurde, einfach nur an und brüllte: »Lass mich los!« Ich konnte nicht verstehen, warum er sich so aufregte.
    Wenn jemand Parolen an die Wände der Schule malt - ist das etwa ein Grund zum Heulen? Was war sie für ihn, ein heiliger Schrein? Trotzdem, solche Menschen waren gefährlich. Völlig naiv. Es waren solche Menschen, die in Korea und China mordeten, folterten und vergewaltigten. Solche Menschen weinten wegen ein paar Graffiti, aber es machte ihnen nichts aus, wenn eine ihrer Klassenkameradinnen Soldaten die Schwänze lutschte, sobald sie die Mittelschule hinter sich hatte.

    »Ken, du hast klein beigegeben.«
    Adama hatte meinen Zusammenstoß mit dem Vizepräsidenten beobachtet.
    »Nein, hab’ ich nicht. Aber das Arschloch übertreibt wirklich.«
    »Ja, es ist verrückt, dass ein Typ sich auf den Boden kniet und so schrubbt. Und seine Hände dabei klatschnass macht.«
    »Ich weiß. Wie können sie sich da nur so reinsteigern? Wenn ich klein beigegeben habe, dann nur, weil der Typ irgendwie ... überwältigend war.«
    »Du hattest keinen Kampfgeist in dir, Mann.«
    »Ich frag’ mich, wie das nur kommt.«
    »Vielleicht, weil es nicht der gerechte Kampf war.«
    »Was soll denn das heißen?«
    »Unsere Motive waren nicht unbedingt rein, oder?«
    »Unsere Motive? Für die Barrikade?«
    »Es ist ja nicht so, dass wir gestorben wären oder so, wenn wir es nicht durchgezogen hätten.«
    »Was weißt du schon vom Sterben, Adama? Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Menschen jeden Tag in Vietnam sterben?«
    Immer wenn ich mit solchen Klischees um mich warf, sprach ich plötzlich Hochjapanisch. Dieser Kram, den das Friedenskomitee für Vietnam in seinen Ansprachen von sich gab, klang im Dialekt irgendwie komisch.
    »Ach ja, Vietnam.«
    »Es waren Kerle wie der da, die in Nanking und Shanghai und so völlig ausgeflippt sind.«
    »Ach ja, Nanking. Aber hör mal, fühlst du dich nicht ein bisschen seltsam, wenn du siehst, wie sie so aufräumen und so?«
    »Natürlich tu ich das. Ich wusste nicht, dass es hier so viele gibt, die dieses beschissene System unterstützen, Mann.«
    »Das meine ich nicht.«
    »Ach?«
    »Ich meine, es ist doch so, als hätten wir erst etwas geschaffen, damit sie alle so hektisch werden können.«
    Adama hatte etwas Trauriges an sich, als er das sagte. So war er immer. Er sagte etwas in einem Ton, der ein Gefühl der Vergeblichkeit andeutete. Aber er verstand es wirklich, seinen Standpunkt deutlich zu machen.

    Eine große Horde von Schülern stand schwitzend draußen in der heißen Julisonne und arbeitete daran, die Fenster des Lehrerzimmers und die Mauer der Bücherei von den Graffiti zu befreien. Vielleicht hatte Adama Recht; es waren nicht nur die Streber, die da draußen mit Putzlappen standen, sondern auch die absolut unterbelichteten Kids - Kids, die dank dieser Schule eine so geringe Meinung von sich selbst hatten, dass sie praktisch selbstmordgefährdet waren.

    Nakamura stand vor dem Büro des Rektors und war so bleich wie ein Gespenst. Auch er hielt einen Putzlappen in der Hand. Als er Adama und mich sah, warf er uns ein gezwungenes kleines Lächeln zu.
    »Was soll dieses Ding in deiner Hand?«, fragte Adama.
    Nakamura leckte sich nervös die Lippen.
    »Ich dachte mir, es wär’ nicht besonders geschickt, einfach nur so rumzusitzen. Es würde verdächtig wirken. Denkt dran, ich bin der Typ, den sie nicht druckreif nennen. Aber egal, hör zu, Ken-san, es ist wirklich merkwürdig ...«
    »Was ist?«
    Adama packte mich plötzlich am Ärmel, zog mich in die Hocke und tat so, als würde er auf dem Boden herumwischen. Nakamura und ich folgten seinem Beispiel. Den Flur entlang kamen der Verbindungslehrer, die beiden Wachleute, ein uniformierter Polizist und ein weiterer

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