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lutschte, war genauso klebrig-süß wie immer. Als es klingelte, ging meine Mutter zur Tür und schaute nach, wer da war. Draußen standen vier Männer, und sie kamen nicht herein. Meine Mutter wirkte leicht erschüttert und rief meinen Vater. Ich verstand immer noch nicht, was eigentlich los war. Die Männer sahen aber nicht so aus, als wären sie gekommen, um die Gasrechnung einzutreiben, und ich hatte ihretwegen ein ungutes Gefühl . Ein ungutes Gefühl ist wie ein dünner, kalter Nebel, der in der Luft hängt und sich dann zu einer bestimmten Form verdichtet. Einer der Männer schaute mich durch die Türöffnung an. Meine Eltern drehten sich um und schauten mich auch an. Der Nebel wurde dichter. Meine Mutter sank auf dem Teppich auf die Knie, und mein Vater kam auf mich zu.
»Diese Männer sind Polizeibeamte«, sagte er mir. »Sie sagen, du wirst verdächtigt, an der Barrikade der Nördlichen Oberschule mitgewirkt zu haben, und wollen dich mitnehmen.«
Ich konnte das Eis nicht mehr schmecken. Der Nebel war dicht wie Suppe. Mein Gehirn wurde taub. Ich war überführt worden. Aber wie? Zweifel und Ängste wirbelten mir durch den Kopf, und meine Kehle war trocken.
»Ich habe ihnen gesagt, da müsse ein Irrtum vorliegen, aber ... Nun, Ken? Hast du es getan?«
Das Eis schmolz und tropfte auf den Boden.
»Ja, ich habe es getan.«
»Ach.«
Mein Vater starrte einige Sekunden lang auf die Tropfen auf dem Teppich und ging dann mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck zu den Polizisten zurück.
Ein Polizeirevier ist anders als alle anderen Orte auf der Welt. Man könnte es mit dem Lehrerzimmer an der schlimmsten aller Oberschulen vergleichen, aber sogar das würde es nicht genau treffen.
Ich ging in den Verhörraum und murmelte vor mich hin: »Ich weiß nichts, ich weiß nichts, ich weiß nichts, ich weiß nichts, ich weiß nichts.« Mir gegenüber saß an einem schäbigen Schreibtisch ein Polizist namens Sasaki, der sich im Frühstadium des Seniorentums befand. Als unsere Blicke sich begegneten, lächelte er und kicherte leise. Die Fenster waren vergittert. Sasakis Hemd war bis zur Brust geöffnet, und er wedelte mit einem Fächer, auf den ein Pfau gemalt war. Es war heiß. Der Schweiß rann mir die Stirn, die Wangen und den Hals herunter, und alles, was ich tun konnte, war, ihn immer wieder abzuwischen.
»Heiß?«, fragte Sasaki.
Ich gab keine Antwort.
»Mir ist auch heiß. Deine Kumpel - Yamada, Otaki, Na-rushima - haben uns die ganze Geschichte erzählt.« Sasaki nahm eine Hi-lite heraus und zündete sie an. »Sie alle haben gesagt, dass du der Anführer bist. Stimmt das?«
Ich hatte richtig Durst. Der klebrig-süße Eisgeschmack hing mir noch im Hals. »Willst du nicht reden?«
Ein anderer Polizist kam mit zwei Gläsern kaltem Gerstentee herein und setzte sie vor uns ab. Ich rührte meinen nicht an, ich hatte Angst davor. Ich hatte irgendwie das Gefühl, wenn ich ihn trinken würde, würde ich ihnen schließlich alles erzählen.
»Na gut. Also dann wird das hier wohl etwas länger dauern. Yamada und die anderen werden bis Mittag wahrscheinlich wieder zu Hause sein. Aber du willst dicht halten, hm? Schau, du bist erst siebzehn, und technisch gesehen bist du aus freien Stücken hier. Wir werden dich wahrscheinlich nicht über Nacht hier behalten, selbst wenn du nicht kooperierst. Wir lassen dich morgen früh wieder herkommen, bis dahin haben wir die anderen Aussagen geprüft, und vielleicht werden wir dich festnehmen .«
Als ich von zu Hause weggegangen war, hatte mein Vater gesagt: »Ken-bo, die Polizei weiß alles. Sei ehrlich zu ihnen - so ehrlich, wie du sein kannst, ohne deine Freunde zu verpetzen -, und komm schnell zurück nach Hause. Es ist schließlich nicht so, als hättest du jemanden umgebracht.« Es beeindruckte mich zu sehen, wie ruhig er blieb, während sein Sohn von der Polizei fortgeschleppt wurde.
»Hör zu, Yazaki, wir sind Polizisten, es ist unser Job, das hier zu tun. Verstanden? Wir sitzen in heißen, vollgestopften Räumen wie diesem hier und reden mit Verdächtigen, und nicht alle davon sind Oberschüler auf ihrem Weg zur Tokioter Universität. Ja, ich habe mit deinem Lehrer geredet - Herr Matsunaga? Er sagt, du bist ziemlich clever.«
Die Polizei braucht so gut wie gar keine Zeit, um etwas gegen dich in der Hand zu haben. Das Elend nimmt seinen Lauf, noch ehe du sein Kommen bemerkst, wie ein Loch im Zahn.
»Nicht alle sind so wie du. Wir haben Ganoven, Penner, Nutten, die
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