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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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halb durchgedreht sind, Junkies, aus deren Gequassel du einfach nicht schlau wirst ... es macht einen so fertig. Im Sommer ist es heiß, im Winter eiskalt ... ich habe ein Nervenleiden, das finde ich wirklich nicht komisch, aber was soll ich machen? Gegen eins, zwei morgens willst du einfach nur noch hier raus, aber es ist dein Job, also, so ist das eben. Du lernst für die Aufnahmeprüfung an der Universität, nicht wahr? Das ist auch kein Spaß, ich weiß ... Du willst immer noch nicht reden? Dann kannst du also morgen früh um acht wiederkommen. Und wenn du morgen so weitermachst, werden wir dich wohl festnehmen müssen.«
    Ich habe keine Ahnung, was ich in diesem Moment für einen Gesichtsausdruck hatte, aber ich war ziemlich niedergeschlagen, und die ganze Angelegenheit begann, reichlich lächerlich zu wirken. Das Problem war, dass ich nichts hatte, worauf ich zurückgreifen konnte, keinen Standpunkt, den ich einnehmen konnte. Alles, was ich anführen konnte, war diese antiautoritäre Sache, diese Vorstellung, dass ich auf keinen Fall mit den verdammten Bullen zusammenarbeiten würde. Aber allmählich gewann der Drang, diesen fürchterlichen Ort zu verlassen, die Oberhand.
    »Weißt du, wie wir auf euch gekommen sind?«
    Ich schüttelte den Kopf. Wassertropfen liefen an dem billigen Plastikglas mit Gerstentee herunter und durchnäss-ten die abblätternde Oberfläche des Schreibtischs. Wie sollte ein Oberschüler auch wissen, dass die düstere Atmosphäre im Verhörraum beabsichtigt war, um den Widerstand der Verdächtigen und der Zeugen zu brechen? Einem Siebzehnjährigen aus einer Mittelschichtsfamilie war es nicht möglich zu verstehen, dass sein Geständnis dadurch erwirkt wurde, dass man seinen Stolz Stück für Stück demontierte. Ich wollte nur noch nach Hause und ein Eis am Stiel so genießen, wie es sich gehörte.
    »Du weißt es nicht, oder? Wir hätten nicht darauf kommen können, wenn es uns nicht jemand erzählt hätte, richtig? Also? Meinst du nicht auch?«
    Mein Stolz zerbröselte. Ich suchte nach etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Wann hatte ich mir noch mal gemeinsam mit meinem Vater Die Schlacht um Algier angesehen? Die Rebellen in Algerien brachen nicht zusammen und gestanden, nicht einmal, wenn man ihren nackten Rücken mit einer Lötlampe bearbeitete. Es war besser zu sterben, als seine Kameraden zu verraten ... Aber was hatte das mit mir zu tun? Ich wollte einfach nur nach Hause gehen und ein Eis lutschen. War das hier Algerien? War der Mann, der mir gegenübersaß, Mitglied des französischen Geheimdienstes? Kämpfte ich in einem Krieg um die nationale Unabhängigkeit? Würde es jemanden das Leben kosten, wenn ich redete?
    »Schau dir das an.« Sasaki zeigte auf einen Stapel Papiere in der Ecke des Schreibtischs. »Die Protokolle deiner Freunde, mit allen Details.«
    Da erwischte es mich. Mit allen Details? Hatte Nakamura ihnen von dem Haufen Scheiße erzählt? Dass Yazaki ihn dazu gebracht hatte, auf den Schreibtisch des Rektors zu kacken? Ich bekam es mit der Angst zu tun. Es war genau so, wie Adama gesagt hatte: Scheiße war nicht komisch. Scheiße hatte nichts mit Ideologie zu tun. Ich hatte eine Menge Berichte über Studentenaufstände gelesen, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass auch nur in einem von ihnen die Darmentleerung als Taktik erwähnt worden wäre. Ich hatte gar nicht so viel Angst davor, dass die Anschuldigungen gegen mich schwerwiegender werden könnten; ich hatte Angst davor, wie ein Perverser behandelt zu werden. Scheiße hatte nichts Romantisches an sich.
    »Wir kennen die Geschichte bereits, ob du nun redest oder nicht, deine Kumpels haben uns alles erzählt. So, und jetzt lass es uns von dir hören. Komm schon, sei nicht dumm. Versuchst du, jemanden zu decken? Versuchst du, die Clowns zu decken, die uns gesagt haben, sie hätten nur deine Befehle ausgeführt? Fühlst du dich dadurch toll oder so?«
    Die Dinge, die er sagte, unterschieden sich nicht sehr von dem, was dem Eis-am-Stiel-Fan durch den Kopf ging, der ihm gegenübersaß. Er hatte Adamas Namen erwähnt. Adama war der Einzige, dem ich trauen konnte. Ich hatte keine ideologischen Bindungen an den Rest, sie waren anders, sie waren Nieten, und sie hatten die Barrikade nur aus einem einzigen Grund durchgezogen: um ihr eigenes unterentwickeltes Ego zu stärken. Ich konnte es nicht ertragen, mit solchen Dumpfbacken in einen Topf geworfen zu werden - das ließ die ganze Sache so bedeutungslos erscheinen.

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