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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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ließ ein verächtliches kleines Lachen hören und heftete seine Augen - dauerhaft gelb und trüb von dem ganzen Zeug, das er einwarf - auf das Poster von Charlie Mingus an der gegenüberliegenden Wand. Adachi interessierte sich nicht besonders für Frauen. Er hatte mir mal gesagt, dass er so viel Sprit und Pillen und Dope genommen habe, dass er sowieso keinen mehr hochkriegte.
    »Aber ehrlich, sie ist ein richtiger Hammer«, sagte ich. »Da fällt mir ein, was würdest du als Hintergrundmusik vorschlagen? Etwas Leichtes, Stan Getz oder Herbie Mann, was meinst du?«
    Adachi nickte. »Da hab ich genau das Richtige dafür. Wir haben eine neue Wes-Montgomery-Scheibe reingekriegt - sind Streicher drauf. Echt gefühlvoll.«
    »Fantastisch!«, erwiderte ich. »Das ist perfekt.« Aber ich hätte es besser wissen müssen, als einem Durchgeknallten zu trauen, der rumlief und heulte und jammerte, weil er nicht schwarz war. Als Mie Nagayama erschien, herausgeputzt mit einer roten Satinbluse, engen schwarzen Jeans, silbernen Sandalen, Ohrringen aus achtzehnkarätigem Gold und rosa Nagellack, grinste Adachi sich einen und legte Coltranes Ascension auf. John Tchicai und Marion Brown ließen ihre Altsaxophone quieken wie abgestochene Schweine, und Mie Nagayama zog angesichts dieses Lärms eine Grimasse, und ihre Mandelaugen verengten sich zu schwarzen Anführungszeichen.

    Wir gingen alle wieder zurück zum Boulevard. Aber auch als ich schon dort saß und Mie Nagayama einen Vortrag über das Festival hielt, malte ich mir in Gedanken noch immer aus, wie der boshafte Scheißkerl Adachi auf Entzug ging, von Krämpfen geschüttelt auf der Straße zusammenbrach und von einem Lastwagen überrollt wurde.
    »Was meinst du damit, ein Festival?«, sagte sie, während sie eine Hi-lite zwischen rosa Fingernägeln hielt, und ihre gespitzten orange-roten Lippen stießen einen Strom von Rauch aus. In diesem Moment erkannte ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass die Lippen einer Frau etwas haben konnten, an das weder Rimbauds Gedichte noch Jimi Hendrix’ Gitarre oder Godards Schneidetechniken heranreichten. Wenn nur Lippen wie diese mir gehören würden und ich mit ihnen machen könnte, was ich wollte, dachte ich. Ein Mann würde sogar Kohle fressen, wenn das nötig wäre, um so einen Preis zu gewinnen. Ich erklärte Mie Nagayama das Festival mit der ganzen Leidenschaft eines Mannes, der bereit ist, eine komplette Schlackehalde zu verschlingen.
    »Ich kann nicht schauspielern«, sagte sie und zermalmte das Eis aus ihrem Drink zwischen den Zähnen.
    »Du brauchst nicht zu wissen, wie man schauspielert«, antwortete ich ihr. »Verstehst du, wir haben dich als Galionsfigur ausgewählt.«
    »Galionsfigur?«
    »Richtig. Wie ich vorher schon gesagt habe. Wir reden über ein Festival, bei dem tausend der fortschrittlichsten Schüler von Sasebo zusammenkommen, ohne jede Unterstützung von ihren Lehrern oder sonst wem. Wir machen das ganz allein. In Tokio und Osaka und Kyoto - in den ganzen Großstädten - gibt es zwar auch Festivals, aber die werden nicht von Leuten wie uns organisiert. Ich wette, so etwas ist noch nicht einmal in New York oder Paris gemacht worden. Da kannst du sehen, wie sensationell das ist.«
    »Paris?«
    »Genau. Nicht einmal Oberschüler in Paris können so was auf die Beine stellen.«
    »Ich mag Paris.«
    »Also, jedenfalls ist es ganz natürlich, wenn wir möchten, dass das schönste Mädchen von Sasebo bei der Eröffnungsveranstaltung eines so revolutionären Festivals auftritt, verstehst du?«
    Mie Nagayama starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, und sie war so überrascht, dass sie vergaß, den Rauch aus ihren Lungen zu blasen.
    »Ich?«
    »Genau.«
    »Das schönste Mädchen von Sasebo?«
    »Richtig.«
    »Wer sagt das?«
    »Sagt der Schülerrat der Nördlichen Oberschule. Es war einstimmig.«
    Sie starrte abwechselnd mich, Adama und Iwase an und brach dann in Gelächter aus. Ihr Lachen war laut genug, um Schuberts Unvollendete Symphonie zu übertönen, die aus den Lautsprechern im Boulevard dröhnte. Sie zeigte auf mich und fragte: »Was ist das denn für einer, ein Spinner?«
    Adama begann auch zu lachen und sagte dreimal: »Genau«, und dann stimmte auch Iwase ein. Es kotzte mich an, aber ich hatte keine andere Wahl, als mit ihnen zu lachen. Die Unvollendete Symphonie war vorüber, bevor sich alle wieder beruhigt hatten.
    »Ihr Jungs seid zum Schießen«, sagte Mie Nagayama, als sie wieder Luft bekam. Sie hatte vom

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