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Lebensgeschichten von Mädchen, komplett mit Fotos und Briefen, in denen stand: »Ich gehöre ganz dir, mit Leib und Seele«, und Bargeld und Schecks und Sparbücher. Es war nicht ganz so, aber es ist wahr, dass ich jeden Tag mit einem strahlenden Lächeln auf meinem Gesicht verbrachte. Adama allerdings, dessen trauriges Schicksal es war, als ein praktischer und realistischer Mensch geboren zu sein, versuchte dafür zu sorgen, dass mein hochfliegender Geist fest am Boden verankert blieb.
Adama, Iwase und ich tranken Café au lait im Café Boulevard und warteten darauf, dass die beiden Mädchen auftauchten.
Adama konnte das mit dem Café au lait nicht verstehen. Ich erzählte ihm, dass Rimbaud das ständig getrunken habe, als er Eine Zeit in der Hölle schrieb, und dass jemand, der den Geschmack nicht zu schätzen wusste, nicht in der Lage sei, über Kunst zu reden.
»Rimbaud? Quatsch. Rimbaud hat Absinth getrunken, wenn er Gedichte schrieb.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Es stand in einem Buch, das ich gelesen habe.«
Adama las mehr und mehr, die ganze Zeit. Da er von Natur aus ein Streber war, vertiefte er sich wirklich in eine Sache, sobald er Interesse daran gefunden hatte. Vor nicht allzu langer Zeit wäre es noch ein Leichtes gewesen, ihn mit so was aufs Glatteis zu führen, aber es wurde langsam immer schwieriger. Er hatte mir neulich das Ohr abgekaut mit Batailles Der verfemte Teil, Die Pest von Camus und Huysmans’ Gegen den Strich, die er alle gerade ausgelesen hatte. Ich tat so, als sei ich überrascht, dass er so lange gebraucht hatte, bis er auf sie gestoßen war, aber insgeheim war ich ein bisschen beeindruckt. Nicht, dass ich nicht selbst auch eine Menge lesen würde, klar. Sartres Gesamtwerk, Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Joyce’ Ulysses, die Reihen Klassiker der Weltliteratur und Meisterwerke der orientalischen Literatur, erschienen bei Chuko Books, Kawades Große Denker der Welt und Heilige Texte der Welt, das Kamasutra, Das Kapital, Krieg und Frieden, Die Krankheit zum Tode, die Gesammelten Werke von Sir John Maynard Keynes, das Gesamtwerk von Lukács, das Gesamtwerk von Tanizaki ... Ich kannte die Titel all dieser Bücher auswendig. Aber die Werke, die ich wirklich liebte und tatsächlich las und mit roter Tinte unterstrich, waren die großartigen Comic-Serien Joe Tomorrow, Der Weg des Drachen, Myosuke der Ronin und Der geniale Bakabon .
Jedenfalls war ich nicht in der Stimmung, mich von Adamas intellektuellem Fortschritt unterkriegen zu lassen. Heute wollten wir zuerst mit dem Engel und Ann-Margret über unseren Film und unser Stück reden und danach Mie Nagayama von Junwa in einem Jazzschuppen treffen, um über ihren Auftritt bei der Eröffnungsveranstaltung zu verhandeln. Nichts und niemand konnte an einem Tag wie diesem das Lächeln aus meinem Gesicht wischen.
»Ken, wo veranstalten wir das Festival?«
Warum musste Adama die Sache immer mit einem solchen Realismus angehen? Hatte er keine Fantasie, keine Träume? Er tat mir Leid. Zweifellos hatte das mit der Umgebung zu tun, in der er aufgewachsen war. Ich war umgeben von sonnendurchfluteten Orangenhainen groß geworden, kühlen Gebirgsbächen, in denen silberne Fische glitzerten, und Ballsälen, in denen amerikanische Offiziere und ihre Familien die ganze Nacht Walzer tanzten. Okay, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, in der Nachbarschaft gab es vier mickrige Mikan-Bäume, einen schlammigen Teich mit Goldfischen und ein Haus voller Nutten, die Marathon-Schreiwettkämpfe mit den GI’s abhielten, aber immerhin gab es nicht allzu viele Schlackehalden. Schlackehalden haben nicht ein Fitzelchen Romantik an sich, sie sind das Symbol der wahnsinnigen Eile, mit der nach dem Krieg die Wirtschaft wieder aufgebaut wurde.
Schlackehalden regten nicht zum Träumen an.
»Wir brauchen eine Art Halle«, sagte ich.
»Ohne Scheiß?! Was grinst du so? Glaubst du, wir können ein Festival veranstalten, indem wir Milch mit Kaffeegeschmack trinken und grinsen? Was sollen wir tun, die Turnhalle der Nördlichen mieten?«
»Sie würden das wahrscheinlich nicht zulassen.«
»Natürlich nicht, du Idiot.«
»Mhm, ich glaube, wir haben ein Problem.«
»Man braucht eine Erlaubnis, wenn man das Gemeinschaftszentrum und die Stadthalle und diese ganzen Orte nutzen will. Man muss eine lange Beschreibung anfertigen, welche Art von Programm man auf die Beine stellen will, und der Produzent muss es mit seinem persönlichen Stempel
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