7 Minuten Zu Spät
Detectives ins Hinterzimmer führte. Auch dieser Raum war renoviert worden und mit einer Couch, einem Tisch und zwei Klappstühlen möbliert. An den Wänden befanden sich Regale voller Schuhkartons, und eine schmale Tür führte zu einem kleinen Badezimmer. Durch ein vergittertes Fenster blickte man auf einen verwilderten Garten, den zu pflegen keine der Frauen Zeit hatte.
Die beiden Detectives setzten sich an den Tisch, und Maggie und Alice ließen sich ihnen gegenüber auf der Couch nieder.
»Ich bin bei der hiesigen Polizei«, begann Frannie, »und Paul ist beim Morddezernat Brooklyn South. Er ist zuständig für den Fall.« Schweigend blickte sie Alice und Maggie einen Moment lang an. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Unglücklicherweise fiel uns sofort ein anderer Fall ein, als Lauren gestern als vermisst gemeldet wurde.«
Alice erinnerte sich sofort. »Christine Craddock«, sagte sie ohne Zögern.
»Ach, du lieber Himmel, ja«, warf Maggie ein. »Christine.«
Sie hatten sie zwar nicht gekannt, aber die Suchmeldungen vor zwei Jahren waren ihnen noch lebhaft im Gedächtnis. Christine Craddock war im neunten Monat mit ihrem ersten Kind schwanger gewesen, als sie auf einmal verschwand. Es hatte sie damals alle schockiert, dass in ihrem friedlichen Viertel so etwas Schlimmes passieren konnte, und der Fall hatte ihnen vor Augen geführt, dass sie letztlich in einer großen, gefährlichen Stadt lebten. Monatelang gab es kein anderes Thema als Christine. Alice, Maggie und Lauren lasen jeden Zeitungsbericht über sie und diskutierten den Fall unablässig auf ihrer Parkbank, am Telefon und spät in der Nacht mit ihren Männern im Bett. Alice, die schon bei der leichtesten Irritation unter Schlaflosigkeit litt, kam wegen des Verschwindens von Christine Craddock kaum noch zur Ruhe. Das Foto der lächelnden Frau auf den Suchmeldungen verfolgte sie. Zerzauste kurze braune Haare. Sommersprossen. Drei Ohrringe im linken Ohrläppchen. Sie war zuletzt an der Union Street, auf der Brücke über den Gowanus-Kanal, gesehen worden. Schließlich hatte man ihr Handy aus dem trüben Wasser gefischt; es war mitten im Anruf untergegangen.
»Ja«, sagte Frannie, »es gibt übereinstimmende Umstände, die eine Ermittlung notwendig machen könnten. Aber mehr bedeutet es nicht.«
»Doch, ich glaube schon, dass es mehr bedeutet«, erwiderte Alice mit ruhiger Stimme. »Sonst wären Sie doch nicht hier, oder?«
Giometti beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Er hatte schöne, braune Augen mit Lachfältchen an den Schläfen. »Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass sie tot ist. Auch Christine haben wir nie gefunden, und wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, was ihr passiert ist.«
»Manchmal vergehen Jahre, ehe man die Wahrheit erfährt«, sagte Frannie. »Aber das ist das Worst-Case-Szenario, und normalerweise lösen wir unsere Fälle.«
Alice krampfte sich der Magen zusammen. Sie war eine aufmerksame Zeitungsleserin und kannte die Statistiken. Wenn eine verschwundene Person nicht in den ersten vierundzwanzig Stunden gefunden wurde, wurde sie entweder nie mehr gefunden oder sie war tot.
»Der Ehemann sagte uns, dass Sie drei sich sehr nahe stehen«, fuhr Frannie fort. »Das wusste ich allerdings bereits.« Ihr Lächeln war herzlicher als an dem Tag im Park, aber Alice konnte ihre Vorbehalte jetzt gut nachvollziehen. Für die junge Polizistin musste das Zusammentreffen mit den Müttern wie ein Besuch auf einem anderen Stern gewesen sein. Und sie verstand jetzt auch, warum sie gemeint hatte, dass die Besuche auf dem Spielplatz sie geistig gesund hielten: Was sie in ihrer täglichen Arbeit sah, war bestimmt grauenhaft.
»Ich bin froh, dass man mir den Fall übertragen hat.« Frannies Augen waren beinahe schwarz, stellte Alice fest.
»Wir werden sie finden. Gemeinsam. Okay?«
Alice und Maggie nickten. Ja, gemeinsam würden sie Lauren finden. Und alles würde gut werden. Sie würde immer noch schwanger mit Ivy sein, und sie würden die letzten zwei Tage einfach vergessen und neu anfangen.
»Erzählen Sie uns ein wenig von Lauren«, bat Frannie.
»Alles, was Ihnen einfällt.«
»Sie ist unsere Schwester«, sagte Maggie.
Frannie warf Giometti, der aufmerksam zuhörte, einen Blick zu.
»Wie unsere Schwester«, korrigierte Alice.
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«, wollte Frannie wissen.
»An dem Nachmittag im Park, als wir auch Sie getroffen haben«, erwiderte Alice.
»Für mich gilt das
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