7 Minuten Zu Spät
Frannie, und nachdem auch Giometti sich verabschiedet hatte, verließen die beiden Detectives den Laden.
Alice blickte dem blauen Wagen nach, wobei sie sich insgeheim ein wenig darüber wunderte, dass Frannie am Steuer saß.
»Für eine Polizistin ist sie viel zu nett«, erklärte Maggie.
»Was ist daran falsch? Vielleicht nimmt sie ja wirklich Anteil.« Alice nahm das Bin gleich wieder da- Schild aus der Tür und steckte es hinter den nächstgelegenen Schaukasten, in dem sie pastellfarbene Sommerpumps zum halben Preis anboten.
»Nur wir nehmen wirklich Anteil an Lauren.« Maggie begann Pappkartons zu öffnen, die am Morgen geliefert worden waren.
»Du, ich und Tim. Und Austin natürlich. Das weißt du ganz gut, Alice.«
Natürlich hatte sie Recht, was die Intensität der Anteilnahme anging. Lauren stammte aus Minnesota. Ihre Eltern waren kurz hintereinander gestorben, als sie noch auf dem College war, ihre Mutter an Brustkrebs und ihr Vater vermutlich an gebrochenem Herzen. Da sie das einzige Kind war, mussten ihre Freunde ihr die Familie ersetzen. Auch Tim hatte beide Elternteile verloren, und so versammelten sie in den Ferien immer alle um sich, die nicht nach Hause fuhren. Ihre beiden besten Freundinnen hatte Lauren einmal als ihre Schwestern bezeichnet, und das war für Alice und Maggie Versprechen und Verpflichtung zugleich.
»Warum hast du mich eigentlich wegen der Kündigungen nicht ausreden lassen, Maggie?«, fragte Alice. »Und warum hast du wegen Ivy gelogen? Was soll das für einen Sinn haben? Wir wissen doch, dass Lauren ein Mädchen erwartet.«
»Wir können doch nicht alles von ihr preisgeben«, erwiderte Maggie in dem allzu geduldigen Tonfall einer großen Schwester, die es leid ist, das Offensichtliche auch noch erklären zu müssen.
»Aber es ist doch nur eine Information«, widersprach Alice.
»Ivy ist schließlich ein Mädchen.«
»Ja, genau.« Maggie kniff die Augen zusammen. »Ivy ist ein Mädchen. Nicht war, sondern ist. Was meinst du, wie wir uns vorkommen, wenn Lauren mit einer ganz normalen Erklärung wieder auftaucht, und wir haben ihre größten Geheimnisse ausgeplaudert?«
»Aber an der Geschichte ist nichts normal, Mags.«
»Ja, das stimmt.« Maggie reckte trotzig das Kinn. »Aber ich möchte sie trotzdem nicht verraten, ehe wir es nicht ganz genau wissen. Wirklich, Alice, das ist das mindeste, was wir für sie tun können.«
Gegen Nachmittag wimmelte es in der Gegend von Polizisten, die jeden befragten, wann Lauren Barnet zum letzten Mal gesehen worden war. Die Kunden, die in den Laden kamen, hatten kein anderes Thema, und Alice und Maggie standen jedem Rede und Antwort.
Sogar Alices Mutter, Lizzie, rief ständig aus Los Angeles an, um sich über den Stand der Dinge auf dem Laufenden zu halten.
»Und?«, fragte sie bei jedem Anruf, »gibt es etwas Neues?«
»Nichts, Mom«, antwortete Alice. »Wir warten immer noch.«
»Warten ist nicht gut, Liebes«, sagte Lizzie in der für sie typischen, energischen Art. »Du musst etwas tun, und zwar nicht nur, um dich abzulenken, sondern um die Dinge voranzutreiben.« Lizzie leitete eine erfolgreiche Filmproduktionsfirma, und es lag ihr nicht, untätig zu sein.
»Die Polizei ermittelt, Mom.« Alice hörte selber, wie erschöpft sie klang.
»Ruf mich an, sobald du etwas hörst«, sagte ihre Mutter.
»Bleib dicht an der Polizei dran, damit sie nichts übersieht. Und tröste die Familie.«
Tröste die Familie. Die Worte klangen in Alice nach. Das Einzige, was sie tatsächlich tun konnten, war, für Tim und Austin da zu sein und sich zu weigern, das Schlimmste zu befürchten.
KAPITEL 5
L auren und Tim Barnet wohnten in einem grauen steinernen Gebäudekomplex mit einem zweiflügeligen hölzernen Eingangsportal genau in der Mitte. Auf der niedrigen Treppe stritten sich Nell, Peter und Ethan darum, wer auf die Klingel zu 2B drücken durfte.
»Ich, weil ich die Älteste bin«, rief Nell.
»Du bist das älteste Mädchen « , widersprach Ethan. »Ich bin der älteste Junge . «
»Jetzt hört mit dem Quatsch auf, Kinder«, erklärte Simon.
»Bevor wir in die Wohnung gehen, müssen wir euch etwas sagen.« Seine tiefe Stimme brachte sie zum Schweigen; er besaß große Autorität bei den Kindern. Alice hatte Simon immer gemocht, trotz seiner Probleme mit Maggie. Er war ein sensibler, kreativer Mann, Musiklehrer, Pianist und ein angesehener Komponist. Er und Maggie hatten sich in London kennen gelernt und waren zusammen nach New York
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