7 Minuten Zu Spät
regnen«, sagte sie. »Dann haben wir draußen gewartet, aber es ist keiner gekommen.«
»Wir hatten es nämlich vergessen!«, kicherte Peter.
»Dann sind wir auf den Spielplatz gegangen«, fuhr Nell fort.
»Ich habe Peter an der Hand genommen, als wir über die Straße gegangen sind, Mommy, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Okay?«
»Okay, Süße. Danke.«
Frannie wollte, dass die Kinder in einem der Polizeiwagen zum Haus zurückgefahren werden sollten, aber Alice protestierte. »Es geht ihnen gut«, sagte sie zu Frannie am Telefon. »Wir gehen zu Fuß mit ihnen dorthin. Wir müssen uns alle erst einmal ein bisschen beruhigen. Bitte.«
»Wir müssen sie vernehmen, Alice.«
»Das ist mir klar.«
»Ich weiß, dass es Ihnen schwer fällt, Alice, aber versuchen Sie, die Kinder nicht so viel zu fragen. Je mehr wir beim ersten Gespräch aus ihnen herausbekommen, desto besser.«
KAPITEL 39
S imon fuhr mit dem Pick-up nach Hause, und so konnten die Halperns gemeinsam dorthin spazieren, wobei ein Polizeiwagen im Schritttempo hinter ihnen herfuhr. Sie hielten einander an den Händen und gingen langsam den Bürgersteig entlang. Alice hatte das Gefühl, sich aufzulösen, der Nachmittag war zu anstrengend und quälend gewesen. Peters kleine, feuchte Hand in ihrer fühlte sich so zerbrechlich an, dass sie am liebsten geweint hätte. Sie waren zwei Stunden lang allein gewesen, zwar allein in einer vertrauten Umgebung, aber in New York gab es immer Fremde.
Doch Fremde brauchte man wohl nicht immer zu fürchten.
Am anderen Ende der Familienkette lief Mike, Nell fest an der Hand. Er bemühte sich sehr, die Ängste der Kinder gar nicht erst entstehen zu lassen, und erzählte einen blöden Witz nach dem anderen. Sie lachten fröhlich, während Alice tausend Fragen durch den Kopf gingen. Warum hatte Sylvie die Kinder so abrupt allein gelassen? Die Tatsache, dass sie sie an einem vertrauten Ort zurückgelassen hatte, zeigte Alice, dass sie die Kinder wohl trotz allem gern hatte. Aber was hieß gern haben für Sylvie?, fragte sich Alice voller Abscheu. Immerhin hatte sie Laurens Haare in ein Kissen gestopft und die winzigen Initialen in die Ecke gestickt. Oder hatten sie und Judy zusammengearbeitet? Aber Judy machte in ihrem betrunkenen Elend nicht den Eindruck, als ob sie zu konsequentem Handeln fähig wäre. Also musste Sylvie Lauren getötet haben. Warum nur? Der Kopf schmerzte Alice von all den bohrenden Fragen. Warum hatte Sylvie es getan? Warum war sie anschließend noch geblieben? Hatte es etwas mit Ivy zu tun? War Ivy noch in Brooklyn?
Als sie die Treppe zu Simons Haus hinaufstiegen, öffnete Frannie ihnen die Tür. Dana stand neben ihr, und sie lächelten beide.
»Willkommen zu Hause! Ich habe Popcorn und Limonade besorgt!« Sie gab sich wie die liebe Tante Frannie, schlug vor, die Kinder sollten sich etwas Trockenes anziehen, und sie würde in der Küche auf sie warten.
Als ihr die beiden am Küchentisch gegenübersaßen, beugte Frannie sich vor. »Na, das war aber ein Gewitter heute, was? Wie fandet ihr das denn da draußen, als ihr darauf gewartet habt, dass eure Mom euch abholen kommt?«
Nell nahm sich eine Hand voll Popcorn und ließ es sich in den Mund tröpfeln. »Sylvie ist mein Lieblingsbabysitter. Sie hat gesagt, ich sei schon alt genug, um selbst babysitten zu können. Sie hat gesagt, ich könnte heute schon mal an Peter üben.«
»Das hat Spaß gemacht«, warf Peter ein. »Wir sind schon groß.«
Stückchen für Stückchen entlockte Frannie ihnen die Geschichte. Dana saß dabei und machte sich Notizen.
Die Kinder erinnerten sich an den ersten Anruf, kurz vor dem Regen. Auch Alice erinnerte sich nur zu gut daran: wie sie sich umgedreht und gesehen hatte, wie Sylvie im Park an ihr Handy ging. Da hatte es zum ersten Mal gedonnert. Nach dem Anruf war sie mit ihnen zum Parkausgang in Richtung von Simons Haus gegangen.
Dann hatte ihr Telefon erneut geklingelt.
Danach war sie mit den Kindern in die entgegengesetzte Richtung zum Autumn Café gegangen. Es hatte angefangen zu regnen und sie waren klatschnass geworden. Bei dieser Schilderung wurde auch Alice klar, dass Sylvie offensichtlich schnell irgendwohin musste, und das Autumn Café lag in der Nähe der Subway. Aber zuerst brachte sie die Kinder ins Café, sagte dem Mädchen hinter der Theke, sie müsse rasch noch etwas erledigen und wäre gleich zurück. Sie drückte Nell zehn Dollar in die Hand und verschwand. Eines allerdings blieb
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