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70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

Titel: 70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gegangen, um das religiöse Bedürfnis der Einwohnerschaft zu befriedigen.
    Das größte und schönste Bauerngut des Dorfes lag ein wenig abseits desselben auf einer Art von Halde. Das Vordergebäude trug als Zierde über jedem Giebel eine hölzerne, künstlich geschnitzte Krone, weshalb das Gut der Kronenhof, der jeweilige Bewirtschafter desselben aber der Kronenbauer genannt wurde.
    Dieser letztere saß auf einer Bank unter der mächtigen Tanne, welche vor dem Gut stand und sich hoch über die Firste desselben erhob. Er war von langer, überhagerer Gestalt, zählte wohl mehr als sechzig Jahre und war blind.
    Er lauschte den Klängen des Glöckchens, und doch schien er auch zurück nach der Haustür zu horchen, von welcher her sich Schritte vernehmen ließen.
    Ein junger, schlanker, aber doch kräftig gebauter Bursche trat aus der Tür. Er hatte seinen Sonntagsstaat an, Schuhe, Kniestrümpfe, kurze Lederhose, Weste, Jacke, einen breiten Gurt um die Hüften und das Hütchen, welches mit einer Spielhahnfeder geschmückt war, saß ihm keck auf dem Lockenkopf. Er hatte ein Gesangbuch oder Gebetbuch in der Hand. Jedenfalls wollte er hinauf in die Kapelle, um dem Gottesdienst beizuwohnen.
    Der Bursche war Fritz Hiller, der Knecht im Kronenhof. Neben ihm gab es noch einen zweiten Knecht, den Bastian, der in der Umgegend als ziemlich geistesbeschränkt und einfältig bekannt war.
    Der Bauer hatte doch mit scharfen Ohren das Geräusch vernommen, welches Fritz unter der Tür hervorgebracht hatte.
    „Kätherl, bist's halt du?“ fragte er.
    Er meinte damit die Kronenbäuerin, seine Frau.
    „Nein, Bauer, ich bin es“, antwortete der Bursche.
    Über das Gesicht des Blinden zuckte ein heller Schein.
    „Du, Fritz? Kannst mal herbeikommen?“
    „Gern, wannst mich haben magst.“
    „Dich hab ich alleweil gern; das weißt ja schon.“
    Der Knecht kam näher und blieb bei seinem Herrn stehen. Es war ein Blick aufrichtigen Mitleides, den er auf ihn warf. Wenn ein Menschenkenner sich in der Nähe befunden hätte, so würde er bemerkt haben, daß beide sich trotz der Verschiedenheit des Alters ähnlich sahen.
    „Bist wohl fertig mit dera Arbeit?“ fragte der Bauer.
    „Schon bald lang.“
    „Und hast's Sonntagsgewandl an?“
    „Alleweil ja.“
    „So willst wohl ausi gehn zum Schatz?“
    „Damit ist's gefehlt. Ich hab halt keinen.“
    „Mußt dich umschaun!“
    „Damit hat es Zeit. Ein Waisenbub, wie ich bin, kann warten, bis er sich erst was spart hat.“
    „Da hast freilich recht. Aber wo willst denn sonst hin, wannst nicht ausi willst?“
    „Hinauf in die Kapellen.“
    „Ja, da hast's gut. Kannst dem Herrgott lobsingen und den Segen mit heimnehmen. Das kann ich nicht mehr.“
    „Könntst's doch nochmal versuchen?“
    „Es geht nicht. Meine Lungen haben keine Luft mehr. Aus dem Haus hierher nach dem Baum, das ist der weitest Weg, den ich noch machen kann; weitern geht's halt nicht.“
    „Ja, wann ein Weg, worauf man fahren könnt, hinauf zur Kapellen geht. Da wollt ich dich schon mal hinauf bringen.“
    „Da ist's schon schwer zu steigen, viel weniger zum Fahren.“
    „Aber du möchtest doch mal gern mit in dera Kirchen sein?“
    „Gar zu gern.“
    „Weißt, so werd ich dich aufitragen.“
    Es war nicht nur Freude, sondern es war fast wie ein seliges Glück, welches die eingefallenen Wangen des Alten rasch, aber nur auf einen Augenblick erleuchtete.
    „Tätst das wirklich?“ fragte er, indem er mit seiner Hand nach derjenigen des Burschen suchte, um sie ihm zu drücken.
    „Warum nicht?“
    „Ich bin so schwer.“
    „Und ich bin kräftig.“
    „Die Leutln täten uns beid auslachen, wannst mich huckepack tragen brächtst.“
    „Möchtens immer lachen. Was mach ich mir draus? Wann du mit mir zufrieden bist, nachher ist mir das Gered der anderen gleich.“
    „Ja, du bist derjenige, auf den ich mich noch verlassen kann – der einzige!“ fügte er leise hinzu.
    „Es gibt auch noch andere, welche ein Stückerl auf dich halten, Kronenbauer.“
    „Ich merk nix davon. Wo ist meine Frau?“
    „Sie ist in ihrer Stuben und wird sich auch fertig machen, in die Kapell zu gehen.“
    „Ja, das läßt sie sich nicht nehmen. In die Kirchen geht's allzeit. Keinen einzigen Tag wird's verfehlt. Sie ist eine gar Fromme und Brave!“
    Er hielt bei diesen Worten seine glanzlosen Augen starr geradeaus gerichtet. Ebenso starr wie sein Gesicht. Es war ihm nicht anzusehen, ob er aus Überzeugung oder ironisch sprach. Dann

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