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70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

Titel: 70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kräftigen Waden. Das Füßchen war der Fuß eines Kindes. Sie hatte wahrlich eine stattliche Gestalt. Um den Hals hing eine schwere Silberkette; eine ebensolche war auch um das Hütchen gewunden.
    Das Gesicht war von schneeweißer Farbe und tief rosig angehaucht – wie Milch und Blut. Die großen, dunklen Augen hatten einen Ausdruck selbstbewußter Güte. Um die frischen, vollen Lippen spielte ein mildes Lächeln – kurz und gut, die Kronenbäuerin hatte das Aussehen eines jungen Mädchens von achtzehn bis zwanzig Jahren, und doch wußte jedermann, daß sie die Dreißig bereits hinter sich habe.
    Als sie so da stand und die beiden betrachtete, war es, als ob eine gütige Fee zweien Sterblichen erschienen sei, um sie zu beglücken.
    „Gehst mit zur Kirche, Fritz?“ fragte sie den Knecht.
    Ihre Stimme war ungemein wohlklingend, kräftig und sanft zu gleicher Zeit.
    „Nein“, antwortete er.
    „Warum? Wolltest doch vorhin gehen.“
    „Der Bauer hat mich beten, ihm vorzulesen.“
    „Ach so! Und das tust du wohl gern?“
    Es schoß wie ein Blitz des Hasses aus ihren Augen auf ihren Mann. Im nächsten Augenblicke aber traf dieser Blick den Knecht mit ruhiger, wohltuender Wärme. Es gehörte ein scharfer Beobachter dazu, diesen gedankenschnellen Wechsel zu bemerken. Dieses schöne, verführerische Weib war ein Vulkan, auf dessen Gelände Trauben reifen, Orangen glänzen und Rosen duften, in dessen Innern aber eruptive Gewalten ihr unheimliches, beängstigendes Wesen treiben. Wehe dann, wenn der Krater seine verheerende Lava speit. Dann ist es aus mit Blüte, Duft und Blumenpracht.
    „Warum sollt ich es nicht gern tun!“ sagte Fritz. „Wann's der Bauer gern hat, daß ich ihm was aus dem frommen Buch vorlesen tu, so wird's mir der Herrgott verzeihen, daß ich nicht aufi zur Kapellen geh.“
    „Ja, der Herrgott ist halt barmherzig und gnädig und von großer Langmut und Güte!“
    Dabei schlug sie die Augen fromm zum Himmel auf, daß ein Maler ihr Gesicht zum Vorbilde eines Madonnengemäldes hätte nehmen können. Dann senkte sie den Blick wie in tiefer, verhaltener Seelenglut wieder nieder in die Augen des Knechtes und fuhr fort:
    „Aber man darf seinen Langmut nicht allzusehr mißbrauchen. Darum kannst nachher, wann das Glöckle zum Paternoster und Ave schlägt, aufikommen. Wir werden dann mitsammen abisteigen und ich kann dir sagen, was der geistliche Herr uns predigt hat.“
    Er wagte keinen Widerspruch. Auch der Bauer sagte nichts. Sie schoß noch einen blitzartigen, stechenden Blick in das Gesicht ihres Mannes, welches jenen wachsartigen Schein hatte, den man bei Blinden so oft beobachtet, und ging dann davon.
    Es war, als ob sie sich förmlich Mühe gebe, ihren Gang so reizend wie möglich zu machen und dabei ihre üppigen Formen möglichst zur Geltung zu bringen. Sie schaute auch einmal zurück, ob der Knecht ihr nachblicke, bemerkte aber zu ihrem Ärger, daß der bildhübsche Bursche in das Buch und nicht nach ihr sah.
    Ein trotzig entschlossener Zug legte sich um ihre Lippen. Sie ballte beide Fäuste um das Gebetbuch, welches sie in den Händen hatte, und flüsterte für sich hin:
    „Dich kaufe ich doch noch! Er ist der schönste Kerl rundum, und ich bin die Allerhübscheste weit und breit. Das gibt ein sauberes Paar, auf welches sie alle voller Neid blicken müssen. Durfte er nicht Kronenbauer werden, weil ich es nicht wollte, so wird er es doch noch werden, weil ich es nun – doch noch will!“
    Die beiden unter dem Baum saßen eine Zeitlang still nebeneinander, jeder in seine heimlichen Gedanken versunken. Endlich schüttelte der Knecht dieselben von sich ab und las weiter, ohne dazu aufgefordert worden zu sein:
    „Jesu, hilf siegen; wer mag sonst bestehen
Wider den listigen, gleißenden Feind?
Wer mag doch seiner Versuchung entgehen,
Wenn er so schön und berückend erscheint.
Herr, wann du weichest, so muß ich ja irren,
Wenn mich der Schlangen List sucht zu verwirren.
    Jesu, hilf siegen, im Wachen und Beten!
Hüter, du schlafest und schlummerst nicht ein.
Laß dein Gebet mich unendlich vertreten,
Der du versprochen, mein –“
    „Halt!“ unterbrach ihn da plötzlich der Bauer. „Schweig still! Mir ist's ganz anderst worden. Ich mag's nicht weiter hören.“
    Seine Stimme klang rauh und gepreßt, ganz so, als ob er etwas Schweres, Innerliches zu überwinden habe.
    „Warum?“ fragte Fritz.
    „Hm! Warum hast du die Versen nicht nach dera richtigen Reihenfolg lesen?“
    „Hab ich das

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