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70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

Titel: 70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Dann aber erklärte er:
    „Weil der Sepp da ist.“
    „Kannst auch später noch genug mit ihm reden. Bleibst doch heut da bei uns, Sepp?“
    „Ja. Aber warum soll denn der Fritz fort und nicht dableiben?“
    „Die Bäuerin hat ihn bestellt.“
    „Ich denk, sie ist in dera Kirchen?“
    „Freilich. Er soll sie abholen.“
    „Ach so! Da muß er natürlich gehen. Ein Knecht muß gehorsam sein.“
    Er hatte Fritzens Erröten gar wohl bemerkt, tat aber nicht so. Dem scharfen Auge des Alten konnte eben nicht so leicht etwas entgehen, was geeignet war, seinen Plänen zu dienen. Der Knecht gehorchte und ging, sich dem Steig zuwendend, der zur Höhe führte, auf welcher die Kapelle stand. Ihre Lage war ganz so, als ob der Dichter sie im Auge gehabt habe, als er die Verse schrieb:
    „Was schimmert dort auf dem Berge so schön,
Wenn die Sternlein hoch am Himmel aufgehn?
Das ist die Kapelle still und klein;
Sie ladet den Pilger zum Beten ein.
    Was tönet in der Kapelle zur Nacht
So feierlich ernst, in ruhiger Pracht?
Das ist der Brüder geweihter Chor;
Die Andacht hebt sie zum Herrn empor.
    Was hallt und klinget so wunderbar
Vom Berge herab, so tief und klar?
Es ist das Glöcklein, das in die Gruft
Am frühen Morgen den Pilger ruft.“
    Auch Fritz dachte an diese Worte des Gedichtes, als er jetzt mit ausgiebigem Schritt bergan stieg. Er war sehr ernst gestimmt. Er war überhaupt eine tiefe, stille, ernste Natur, und das mochte seinen Grund wohl zunächst in der natürlichen Veranlagung haben. Jedenfalls aber trug auch der Umstand, daß er ein Waise war, viel dazu bei, ihn von den ausgelassenen Vergnügungen der Jungburschen fernzuhalten.
    Er hatte weder Vater noch Mutter gekannt. Zwar war ihm im Kronenhof eine Heimat geboten worden, aber er galt dort doch nur als Knecht, obgleich der blinde Bauer ihn mehr wie einen Sohn behandelte. Er hatte eine außerordentliche Zuneigung zu dem Blinden. Gegen die Bäuerin aber fühlte er eine unbezwingliche Abneigung.
    Sie hatte ihn, als er noch Knabe war, sehr schlecht behandelt, sich aber später so gleichgültig gegen ihn verhalten, als ob er für sie gar nicht existiere. Seit einiger Zeit hatte sich das verändert. Sie war freundlicher gegen ihn geworden.
    Er hatte zuweilen bemerkt, daß ihr Auge heimlich mit einem Ausdruck auf ihm ruhte, der ihm Unruhe bereitete. Es lag eine stille Glut, ein heißes Verlangen in diesen Blicken. Auch in ihrem Ton, wenn sie mit ihm sprach und niemand dabei zugegen war, lebte ein etwas, welches er mehr und mehr zu fürchten begann. Er war keineswegs blind gegen ihre Schönheit. Er betrachtete sie, wenn er sich unbeachtet wußte, ebenso genau wie jeder andere; aber er betrachtete sie so, wie man ein Gemälde betrachtet, welches eine schöne, üppige, reizende Judith vorstellt, welche das blutige Haupt des Holofernes in der Hand hält. Es graute ihm vor ihr, trotz ihrer Schönheit.
    Ihm waren die Blicke nicht entgangen, welche sie vorhin auf ihn geworfen hatte. Noch nie hatte sie ihn aufgefordert, sie abzuholen oder sie zu begleiten. Heute hatte sie das zum ersten Mal getan. Warum? Was wollte sie von ihm? Ihm sagen, was der Pfarrer gepredigt hatte? Nur das?
    Er wurde aus diesem Sinnen gestört, und zwar auf eine angenehme Weise, auf die angenehmste, die es für ihn nur geben konnte.
    Der Pfad war zu beiden Seiten von Gras und Gebüsch eingefaßt. Als Fritz jetzt eine Krümmung desselben hinter sich hatte und um einen Haselbusch bog, sah er ein junges Mädchen, welches im Gras gesessen hatte und sich beim Geräusch seiner Schritte nicht rasch genug hatte erheben können.
    Als er nun plötzlich vor ihr stand, erglühte sie vor Verlegenheit, indem sie sich die Falten aus dem kurzen Röckchen strich.
    Sie mochte achtzehn Jahre zählen, war von mittlerer Statur und hübschen Formen. Ihr Gesichtchen, von hellem Haargelock umrahmt, wurde von einem kleinen Hütchen beschattet, dessen einziger Schmuck eine Rose war. Das allerliebste Gesichtchen hatte den Ausdruck von Herzensgüte. Sie war jedenfalls ein mildes Wesen, ganz geeignet, sich an einen kräftigen Charakter zu schließen, der ihr zur Stütze dienen konnte.
    „Martha!“ sagte er. „Du bist es? Grüß Gott!“
    Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte ihr kleines Händchen leicht hinein.
    „Grüß Gott auch, Fritz!“ antwortete sie, freundlich zu ihm aufblickend. „Fast wär ich vor dir verschrocken!“
    „Warum?“
    „Ich hab denkt, es sei ein anderer.“
    „So! Aber wannst wußt hättest,

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