71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
ordentlich und sauber, daß man sich allemal freut, wann man einmal bei ihr im Hof sein kann.“
„Und hast auch schon die Suppen gessen?“
„Nein. Ich bin soeben erst aus den Federn heraus.“
„So setz dich herbei und trink den Kaffee mit!“
In dieser Aufforderung lag eine große Ehre für ihn. Das war eine höchst ungewöhnliche Herablassung. Er wußte, daß sie ihn sondieren und für sich einnehmen wolle und ging darauf ein. Er hatte ja Zeit, denn es war ihm ganz selbstverständlich gar nicht eingefallen, den Brief wirklich auf die Post zu geben. Er trat nahe heran, lächelte ihr dankbar und fast untertänig zu und sagte:
„Wannst derlaubst und der Bauer auch, so kann ich es mir schon gefallen lassen. Ein Kaffee ist für so einen gar alten, wie ich bin, besser als eine Suppen. Darum mit gütigem Verlaub!“
„Ja, setz dich nur!“ stimmte der Bauer bei. „Wannst bei mir bist, so kannst allemal denken, daßt daheim bei dir seist.“
„O weh! Wo bin ich daheim! Der alte Wurzelsepp hat weder Heimat noch Herd.“
„Wo du hinkommst, da ist deine Heimat, denn du bist halt überall gern gesehen. Aber horcht! Da hör ich einen Wagen rollen. Der kommt aus der Stadt. Wer mag das sein, so morgens in der Früh?“
Er hatte richtig gehört. Es kam ein Wagen in scharfem Trab herbei, in welchem so viele Personen, und zwar lauter männliche, saßen, daß sie kaum Platz hatten.
Der Sepp beschattete seine Augen mit der Hand gegen die Sonne, welche eben über dem Horizont erschien, und blickte scharf nach dem Wagen. Als er die darin Sitzenden erkannte, warf er einen schnellen, verstohlenen Blick auf die Bäuerin und bemerkte, daß sie die Farbe wechselte. Sie erbleichte:
„Was ist denn das?“ sagte er im Ton der Überraschung. „Im Wagen sitzt der Wildachförster. Weshalb mag der schon so früh in der Stadt gewest sein? Ich glaub gar, daß er eine Amtsgeschichten hat.“
„Heut früh?“ meinte der Bauer. „Das ist gar nicht möglich. Warum denkst denn das?“
„Weil drei Schandarmen bei ihm sitzen und auch zwei Herrn vom Gericht.“
„Wirklich? Ob's den Samiel betrifft?“
„Das werden wir gleich sehen.“
Der Kutscher wollte vorüber; da aber sagte der Förster zu einem der Gerichtsbeamten, welcher der Staatsanwalt war, einige Worte, worauf dieser letztere halten und die im Wagen Sitzenden alle aussteigen ließ. Er grüßte höflich und sagte:
„Hier wohnt der Kronenbauer, wie ich höre?“
„Ja, der bin ich“, antwortete der Blinde.
Es war der Bäuerin anzusehen, daß sie gewaltig erschrak. Daß direkt nach ihrem Mann gefragt wurde, ließ sie befürchten, daß der Staatsanwalt mit ihm oder auch mit – ihr zu tun habe. Doch fühlte sie sich sofort wieder beruhigt, als er weiter fragte:
„Sie haben einen Knecht, welcher Friedrich Hiller heißt?“
„Ja.“
„Ist er daheim?“
„Er muß im Hof sein.“
„Ich habe mit ihm zu sprechen. Lassen Sie ihn einmal kommen!“
Der Sepp eilte fort, um Fritz zu holen. Als er ihn brachte, fixierte der Anwalt den hübschen, jungen Mann und sagte:
„Der Herr Förster ist heut sehr früh gekommen, um anzuzeigen, daß er während der vergangenen Nacht von dem Samiel bestohlen worden ist. Wissen Sie etwas davon?“
„Ja, ich weiß es.“
„Wollen Sie mir den Vorgang erzählen?“
„Das werd ich gar gern tun.“
Er berichtete alles. Er sagte auch, weshalb er überhaupt in den Wald gegangen sei, nämlich um die armen Leute zu besuchen. Der Beamte fragte ihn sehr eingehend aus, und die Bäuerin vernahm ein jedes Wort, welches er sagte. Sie war natürlich außerordentlich gespannt, ob er sagen werde, daß er eine der beiden vermummten Persönlichkeiten erkannt habe. Zu ihrer großen Beruhigung antwortete er:
„Das ist mir ganz unmöglich gewest.“
„Kam Ihnen denn nicht die Gestalt bekannt vor?“
„Nein.“
„Auch nicht die Stimme?“
„Auch nicht.“
„Sie werden sich jetzt mit uns an den Ort der Tat begeben müssen, damit ich mich ganz genau zu orientieren vermag. Übrigens sind Sie bereits vorher Zeuge einer andern Tat des sogenannten Samiel gewesen.“
„Zeuge nicht. Wir kamen zu spät.“
„Aber Sie haben den Herrn Oberleutnant befreit. Der Sepp war auch dabei und einige Tagelöhner. Diese Leute mögen herbeikommen, wenn sie da sind, und mich an die betreffende Stelle begleiten, damit ich dort ihre Aussagen hören kann.“
Der Bauer war außerordentlich erstaunt, daß der Graf gestern von dem Samiel beraubt und
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