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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wir müssen es uns überhaupt überlegen, ob wir sie bereits jetzt festnehmen oder später auf der Tat ergreifen wollen. Gehe jetzt! Ich winke später.“
    Es war eine lange, lange Unterredung, welche Ludwig mit dem Medizinalrat hatte. Der Sepp behielt das Fenster des Zimmers im Auge und als er endlich den König an demselben erscheinen und ihm winken sah, nahm er den Bauern bei der Hand, um ihn hinauf zu führen. Dabei begegneten sie der Bäuerin.
    „Wohin?“ fragte sie.
    „Zum Doktor hinauf“, antwortete der Sepp.
    „Wohl wegen der Augen?“
    „Ja.“
    „Da wünsche ich viel Glück!“
    Sie sagte das in einem Ton, welcher teilnehmend sein sollte, aber die beiden hörten doch einen nicht ganz zu unterdrückenden Hohn hindurchklingen.
    Als sie in das Zimmer Ludwigs traten, welches deshalb zu der Untersuchung gewählt worden war, weil es mehr Helligkeit als jedes andere besaß, hatte der Arzt seine Instrumente auf dem Tisch ausgebreitet.
    „Kronenbauer“, sagte er, „ich möchte Ihre Augen untersuchen. Wollen Sie mir das erlauben?“
    Der Gefragte dachte an seinen Traum. Er lauschte mit angehaltenem Atem dem Klang dieser Stimme und antwortete in vibrierendem Ton:
    „Herrgott! Wie gern!“
    „So kommen Sie her; setzen Sie sich!“
    Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Stuhl. Als er nun den Kopf des Blinden in die richtige Lage gebracht hatte, begann er die Untersuchung. Er ging bei derselben ungemein sicher zu Werke und bediente sich dabei nacheinander des Refraktion-Ophthalmeskops von Coocius, Meierstein und Giraud-Teulon.
    Es dauerte eine geraume Zeit, ehe er fertig war; dann nickte er befriedigt lächelnd dem König zu. Dieser winkte ihn ein Stück ab und fragte leise:
    „Wie steht es?“
    „Viel besser, als ich nach der Betrachtung mit dem bloßen Auge denken konnte. Die Pistole ist nicht mit Vogeldunst geladen gewesen. Was in das Auge eindrang, das waren nur un- oder halbverbrannte Pulverkörner.“
    „So ist kein edler Teil verletzt?“
    „Doch, aber nicht so, daß es keine Hilfe gebe. Die Hornhaut steckt voller schwarzer Pulverpünktchen, welche sogar teilweise in die vordere Augenkammer eingedrungen sind; aber die Linse ist unverletzt, und das ist die Hauptsache.“
    „So ist Hilfe möglich?“
    „Sogar sehr leicht. Ich habe das Pulver zu entfernen, jedes Pünktchen einzeln, wozu nichts erforderlich ist, als eine feste, sichere Hand.“
    „Aber die Schmerzen!“
    „Es gibt keine. Ich kann hier unsere allerneueste Entdeckung anwenden, indem ich die örtlichen Empfindungsnerven während der Operation außer Tätigkeit setze. Der Patient fühlt nichts, gar nichts. Er wird gar nicht merken, daß ich mit der Pinzette in seinem Auge arbeite.“
    „Und wie lange wird es dauern?“
    „Sicherlich über zwei Stunden.“
    „So beginnen Sie. Sagen Sie ihm aber nichts!“
    Der alte Sepp hatte in der Nähe gestanden und jedes Wort gehört. Sein Herz hüpfte vor Freude über diesen außerordentlich günstigen ärztlichen Ausspruch. Er hätte am liebsten den Geheimrat laut jubelnd umarmen mögen.
    Dieser letztere trat wieder zu dem Blinden zurück.
    „Nicht wahr, es steht schlimm?“ fragte dieser.
    Er hatte die Herren flüstern hören und glaubte, wenn sie etwas Gutes zu sagen gehabt hätten, so wäre es laut geschehen.
    „Das möchte ich doch nicht sagen“, antwortete der Arzt freundlich. „Ich habe mich bisher nur über das Allgemeinbefinden der Augen überzeugen können. Der Nerv ist noch in Tätigkeit; das Pigment ist empfänglich. Aber das Pulver, das Pulver! Es hat vielleicht alles andere zerstört. Um darüber urteilen zu können, muß ich Sie einer noch eingehenderen Untersuchung unterwerfen, und ich glaube nicht, daß Sie die dazu nötige Geduld haben werden.“
    „Lieber Herr, wann einer blind ist, so hat er wohl lernen müssen, geduldig zu sein.“
    „Es wird vielleicht über zwei Stunden dauern, Kronenbauer.“
    „Herrgott! Ich halt gern zwei Jahre her, um nur zu derfahren, ob noch eine kleine Hoffnung vorhanden ist oder nicht.“
    „Nun, so wollen wir es versuchen. Der Sepp hat eine stille Hand, er mag Ihren Kopf mit halten.“
    Der Blinde wurde in die richtige Lage gebracht. Sepp unterstützte ihn. Später gab selbst der König seine Hand dazu her. Dann nahm der Arzt ein kleines Pinselchen in die Hand, tauchte es in eine Flüssigkeit, welche sich in einer Phiole befand, und sagte dann:
    „So wollen wir mit Gottes Hilfe beginnen!“
    Der Blinde hätte aus diesen Worten

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