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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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erraten können, daß man im Begriff stehe, eine Operation vorzunehmen; aber er dachte das nicht. Er dachte überhaupt gar nichts, und wenn er ja an etwas dachte, so war es nur daran, recht still zu halten.
    Der Arzt ließ einen Tropfen dieser Flüssigkeit mittels des Pinsels auf den Augapfel fallen, wodurch derselbe das Gefühl für die Pinzettenstiche verlor. Dann begann die eigentliche Arbeit.
    Sie war minutiös und mühevoll. Dem Geheimrat gingen sehr oft die Augen über, so daß er sie eine Zeitlang ausruhen lassen mußte; endlich aber, endlich war er fertig.
    „Gelungen!“ hätte er jubeln mögen.
    Aber er rief dieses Wort nicht aus; er nickte es nur den beiden heimlich zu. Wenn die Haut nicht durch die Stiche gereizt worden wäre und infolgedessen sich in geschwollenem Zustand befunden hätten, so hätte der Bauer bereits jetzt wieder sehen können.
    Er bekam eine kühlende Flüssigkeit eingeträufelt und dann wurden ihm beide Augen mit einer Binde, welche der Arzt zu diesem Zweck mitgebracht hatte, dicht verbunden.
    „Wozu das?“ fragte der Bauer. „Ich hab doch jetzt auch keine Binde habt!“
    „Jetzt ist sie für kurze Zeit nötig, da ich mit meinen Instrumenten Ihr Auge zu sehr angegriffen habe.“
    „So! Wie steht's nun? Nicht wahr, ich muß blind bleiben?“
    „Das behaupte ich keineswegs. Noch aber kann ich kein Urteil fällen. Ihre Augen müssen sich erst beruhigen; dann sehe ich sie mir nochmals an.“
    Da stand der Kronenbauer langsam vom Stuhl auf, drehte sich zu dem Sprechenden um und sagte langsam und gewichtig:
    „Herr Doktor, wissen 'S halt, was nachher kommt, wann man das Augenlicht verloren hat?“
    „Nun, was?“
    „Dann wird alles andere desto schärfer.“
    „Das weiß ich wohl.“
    „Das Gehör, das Gefühl, der Geruch und der Geschmack. Mein Gehör ist, seit ich blind bin, so scharf worden, daß ich auch alles hör, was ich nicht hören soll. Ich erkenn an der Stimm des Menschen, was er denkt, und so hab ich's auch der Ihrigen anhört, wie es mit mir steht.“
    „Das bezweifle ich“, lächelte der Arzt.
    „Oh, ich weiß es ganz genau!“
    „Nun, so sagen Sie es!“
    „Ja, ja, ich will es sagen!“
    Und in wirklich jubelndem Ton fuhr er fort:
    „Sepp, Sepp, hab ich's nicht sagt, daß es die Stimmen der beiden Herren sind, von denen ich träumt hab? Ich irr mich nicht; es ist ganz gewiß, mein Traum geht in Erfüllung. Ich werd wieder sehen können!“
    Er wartete, was man dazu sagen werde, und da niemand antwortete, so fragte er:
    „Herr Doktor, haben 'S etwa das Herz, nein zu sagen?“
    „Nein, das habe ich nicht; aber ich kann auch noch nicht ja sagen.“
    „Oh, Sie können's, Sie können's, wann 'S nur wollen! Herrgott, warum soll mir so eine Freuden verschwiegen werden? Warum soll ich in so einem entsetzlichen Zweifel bleiben? Wann die Herren Menschen sind und ein Gefühl im Herzen haben, so werden sie mir die Wahrheit sagen.“
    Da konnte der König es nicht übers Herz bringen; er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mild:
    „Kronenbauer, beruhigen Sie sich!“
    „Die Stimm, die Stimm!“ flüsterte dieser wie abwesend.
    „Was meinen Sie mit meiner Stimme?“
    „Sie ist's, sie ist's!“
    Da erklärte Sepp die Sache. Er erzählte, was der Bauer geträumt hatte.
    „Ja“, bestätigte dieser am Schluß. „Das ist mir im Traum vorgekommen und den hat mir der liebe Herrgott gesandt. Jetzt, wann 'S den Mut dazu haben, da sagen 'S mir, daß ich blind bleiben muß!“
    „Nein“, sagte der König. „Diesen Ausspruch werden wir nicht tun. Können Sie schweigen? Können Sie sich bezwingen?“
    „Oh, so sehr, wie Sie nur wollen.“
    „Auch gegen Ihre Frau?“
    „Erst recht!“
    „So will ich Ihnen sagen, daß Sie sehr bald wieder sehen werden.“
    Der Blinde lauschte. Es war, als ob er ein jedes Wort einatmen wolle.
    „Sehen werden!“ flüsterte er, indem ein unbeschreiblich seliges Lächeln über sein eingesunkenes Gesicht flog.
    „Vielleicht schon morgen“, fügte der Medizinalrat hinzu.
    „Morgen – morgen schon!“
    „Das heißt, wenn es Abend geworden ist. Dann werde ich Ihre Binde öffnen, und Sie können sich beim milden Sternenlicht, welches Ihren Augen nichts schadet, überzeugen, daß Ihnen das Glück des Gesichtes wieder zurückgegeben worden ist.“
    Da sank der Bauer auf die Knie nieder, hob die gefalteten Hände empor und rief:
    „Mein Jesus und mein Heiland! So ist's nun also vorüber mit dieser schweren Not! Ich – ich –

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