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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wollen Sie gleich mein Mädchen gehen lassen! Sofort, sofort, sonst rufe ich die Polizei herbei.“
    Jetzt ließ er los. Das Mädchen entfloh; er aber wendete sich an die Dame:
    „Was haben Sie hier darein zu reden! Sie haben hier unten gar nichts zu sagen!“
    Die Dame, deren behäbiges Aussehen auf gute Verhältnisse und einen liebenswürdigen Charakter schließen ließ, antwortete zornig:
    „Das sagen Sie mir? Der Wirtin dieses Hauses und der Herrin des Mädchens? Ich will Ihnen darauf nur die Antwort geben, daß ich in meinem Haus Flegelhaftigkeiten nicht dulde. Sie ziehen aus! Sehen Sie sich schleunigst nach einer anderen Wohnung um!“
    „Oho! Flegelhaftigkeiten?“
    „Ja, das ist es. Ihr Betragen ist rüde und zuchtlos. Seit Sie bei mir wohnen, haben Sie uns nur bemerken lassen, wie ein junger, anständiger Herr nicht leben soll. Ich kann Sie nicht länger bei mir dulden. Ich wiederhole also meine Aufforderung, sich heut noch nach einem anderen Logis umzusehen!“
    „Das ist brillant!“ lachte er. „So eine alte Schachtel, welche froh sein sollte, einen gutzahlenden Mieter zu haben, will mich fortjagen! Meinen Sie, daß dies so schnell geht? Sie haben mir zu kündigen. Verstanden!“
    Die Dame wollte noch zorniger auffahren; sie beherrschte sich aber und entgegnete in ruhigerem, reserviertem Ton:
    „Ich bedarf keiner Belehrung. Ob ich die Kündigung einhalte, kommt ganz auf die Verhältnisse an. Ich will nicht von den Orgien sprechen, welche Sie bis tief in die Nacht hinein in Ihrer Wohnung feiern, auch nicht von den zweifelhaften Frauenzimmern, die sich daran beteiligen; aber Sie haben nun bereits mit jedem hier im Hause engagierten Dienstmädchen angebunden, und heut vergreifen Sie sich sogar tätlich an dem meinigen. Das beweist, daß Sie ein gemeingefährlicher Mensch sind, welchen ich keinen Augenblick länger zu dulden brauche. Auf mein wohlberechtigtes Einschreiten hin beleidigen Sie mich mit schamlosen Schimpfworten. Ich könnte sofort zur Polizei senden, aber ich will jetzt noch darauf verzichten und Ihnen eine Frist stellen. Wenn Sie bis morgen abend sechs Uhr meine Wohnung noch nicht verlassen haben, lasse ich Sie polizeilich entfernen und auch noch wegen des beschimpfenden Ausdrucks bestrafen, dessen Sie sich bedient haben. Richten Sie sich danach!“
    Sie wendete sich um und stieg wieder die Treppe empor. Er sah die Dame oben stehen und fühlte sich riesig blamiert. Das brachte ihn aber keineswegs zur besseren Einsicht, sondern es erregte nur seinen Zorn:
    „Ein Glück für Sie, daß Sie sich fortmachen“, rief er der Dame nach. „Wenn Sie sich nicht augenblicklich getrollt hätten, wären Sie mit den wohlverdienten Ohrfeigen bedacht worden!“
    „Ah, Ohrfeigen?“ antwortete sie, stehenbleibend. „Das ist mir noch nie gesagt worden! Dieser Mensch ist noch viel gemeiner, als ich gedacht habe.“
    Er sprang auf die Treppe zu und drohte:
    „Nun aber schnell verschwinden, sonst –! Morgen ziehe ich aus. Mit so einer alten Xanthippe mag ich nicht zusammen wohnen!“
    Der Baron mochte befürchten, daß diese Szene sich noch mehr verschärfen könne. Darum trat er herbei, faßte ihn am Arm und bat:
    „Komm! Erniedrige dich nicht! So ein Weib darf für unsereinen gar nicht existieren.“
    „Hast recht! Aber sagen muß ich es ihr.“
    Sie gingen. Ihr Weg führte sie, da des Kommerzienrats Palais auf der Asperngasse stand, an dem Eingange der Praterstraße vorüber nach der Ferdinandstraße, in welche die erstere mündet.
    Der Sänger war voller Ärger, nicht sowohl über den Zank mit der Wirtin als vielmehr deshalb, daß ihm sein Angriff auf das schöne Mädchen nicht so gelungen war, wie er es beabsichtigt hatte.
    „Verdammte alte Hexe!“ brummte er. „Wenn sie nicht dazugekommen wäre, hätte ich mir ein paar Küsse geholt.“
    „Was hättest du davon gehabt?“
    „Das fragst du mich!“
    „Natürlich. Für solche Küsse danke ich. Wenn ich sie nicht freiwillig und aus Liebe erhalte, so verzichte ich lieber darauf.“
    „Aber hast du dir denn das Mädchen gar nicht angesehen?“
    „Sogar sehr genau.“
    „Nun? Was sagst du zu ihr?“
    „Sie ist allerdings verdammt hübsch.“
    „Nicht nur hübsch, sondern sie ist eine Schönheit, keine Mondschönheit, weißt du, sondern eine mit strotzenden Formen. Man möchte gleich hineinbeißen in diese süße, schwellende Frucht. Aber sie ist ein fester Charakter. Ich habe ihr alle möglichen Vorschläge gemacht, doch

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