71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
welcher sich dann entfernte, den Brief ab und betrachtete das Kuvert.
„Ein adliges Wappen!“ sagte er.
„Ah! Welches?“
„Das sollte ich kennen. Wenn ich mich nicht irre, so ist es dasjenige des Kommerzienrats von Hamberger.“
„Kenne ihn nicht. Wüßte nicht, was er mir zu schreiben hätte. Es ist doch derjenige, zu welchem Graf Senftenberg heut abend geladen ist?“
„Ja.“
„Bitte, öffne ihn, und lies ihn mir vor!“
Der Baron öffnete und las:
„Sehr geehrter Herr.
Würden Sie sich, falls dieser Brief Sie persönlich antrifft, sich sofort nach dem Empfange zu mir bemühen? Ich habe eine Frage an Sie zu stellen.
Ergebenst Hesekiel von Hamberger.“
„Sonderbar!“ brummte der Sänger unwillig. „Er hat zu mir ebenso weit wie ich zu ihm.“
„Willst du etwa seiner Einladung nicht Folge leisten?“
„Ich habe wirklich keine Lust dazu. Was kann der Mann von mir wollen?“
„Wer weiß es? Es ist jedenfalls anzunehmen daß er dich nicht eines Nichts wegen zu sich entbietet.“
„Zu sich entbietet! Das ist der richtige Ausdruck. Er befiehlt mich ja förmlich zu sich, wie ein Vorgesetzter seinen Untergebenen.“
„Das mußt du ihm zugute halten. Diese Herren haben sich an den kurzen Ton des Comptoirs gewöhnt.“
„Aber ich bin nicht sein Comptoirist. Er fragt mich, ob ich mich sofort, hörst du, sofort nach Empfang dieser Zeilen zu ihm begeben will. Kann er diese Frage nicht in die Form einer höflichen Einladung, ich will nicht sagen einer Bitte kleiden? Muß er mich denn persönlich inkommodieren? Kann er mir das, was er mich fragen will, nicht gleich mitschreiben und es sodann mir überlassen, ob ich ihm die Antwort persönlich oder schriftlich geben will. Wer und was ist dieser Mann denn eigentlich?“
„Ein Millionär.“
„Trotzdem kann er ein großer Dummkopf sein.“
„Sehr verdient um die Industrie des Landes.“
„Ist mir gleich. Ich bin weder Eisenarbeiter noch Zigarrenmacher. Mich geht das nichts an.“
„Er sieht feine Gesellschaften bei sich.“
„Das ist eher etwas.“
„Verwendet viel Geld an die Kunst.“
„Das söhnt mich beinahe mit seinem Brief aus.“
„Sodann mußt du beherzigen, daß Graf Senftenberg bei ihm verkehrt. Vielleicht hat dieser dich ihm empfohlen, und du würdest ihn blamieren, wenn du nicht gingst.“
„Hm! Aber ich bin jetzt keineswegs in der Verfassung, mich so einem Herrn vorzustellen.“
„Trink ein Selters!“
„Höre, du wirst mir langweilig. Du hast für jeden meiner Einwände eine Entgegnung.“
„Das sollte dich überzeugen, daß es nur gut ist, der an dich ergangenen Einladung zu folgen.“
„Wenn du in dieser Weise den Fürsprecher machst, so werde ich am Ende doch gehen.“
„Tue es! Ich begleite dich eine Strecke.“
„Gut. Das macht mich williger.“
Er stand auf und begann, seine auf dem Diwan etwas in Unordnung geratene Toilette zu restaurieren. Der Lakai mußte wirklich ein Selters bringen. Bei dieser Gelegenheit befahl er diesem, nach dem heruntergefallenen Ring zu suchen.
Der Diener gab sich alle Mühe, fand ihn aber natürlich nicht.
„So laß es jetzt“, sagte sein Herr. „Such, wenn wir fort sind, weiter!“
Der Lakai zog sich in das Vorzimmer zurück, und bald war der Sänger zum Gehen bereit. Das Selters schien ihm wohlgetan zu haben. Er wankte nicht mehr, und sein Körper erhielt nach und nach die verlorene Spannkraft zurück.
Er betrachtete sich noch einmal wohlgefällig im Spiegel und erklärte sich dann zum Gehen bereit. Schon wendete sich der Baron nach der Tür; da aber drehte er sich noch einmal zu dem Sänger, welcher ihm folgen wollte, zurück und sagte:
„Da fällt mir ein: Könntest du mir nicht einen kleinen Dienst erweisen?“
„Gern, wenn es mir möglich ist.“
„Es ist eine Geldangelegenheit.“
Der Baron beobachtete dabei die Miene seines Freundes mit gespanntem Blick. Dieser verbarg seine Überraschung nicht, sondern sprach:
„Aber, mein Bester, du hast doch in letzter Zeit ganz bedeutende Summen von uns gewonnen!“
„Das ist sehr richtig.“
„Du mußt also doch bei Kasse sein. Du lebst zu splendid. Du mußt dich mehr einschränken. Meine Gelder kann ich nicht angreifen. Vielleicht hilft dir der Graf aus der Verlegenheit.“
Über das lauernde Gesicht des Barons ging ein höhnisches und doch auch befriedigtes Lächeln, welches er aber schnell wieder unterdrückte.
„Wer sagt dir denn, daß ich mich in einer Verlegenheit befinde?“
„Nun,
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