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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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erfahre ich, daß seit einiger Zeit ein Sänger hier wohnt, welcher keine üble Stimme haben soll. Die Wiener Sänger haben alle bereits bei mir gesungen; nun möchte ich meinen Gästen auch diesen Fremden vorführen. Was meinen Sie dazu?“
    „Brillante Idee!“
    „Nicht wahr! Wollen Sie nicht wenigstens eine Kaviarsemmel nehmen?“
    Er spießte die Semmel mit der Gabel an und hielt sie dem Grafen hin.
    „Danke! Ich hatte heut schon Kaviar.“
    „Schade! Ich habe mir sagen lassen, daß der Kaviar ein sehr guter Schutz gegen den Schnupfen und die Reizung sämtlicher Schleimhäute sein soll. Leiden Sie oft an Schnupfen?“
    „Selten!“ antwortete der Graf sehr ernsthaft.
    „Sie Glücklicher! Ich brauche alle Wochen zwei Dutzend Taschentücher. Also Sie meinen, daß ich den Sänger engagieren soll?“
    „Ja.“
    „Leider weiß ich nicht, wo er wohnt; aber ich erfuhr, daß sie ihn kennen.“
    „Wie heißt er?“
    „Criquolini.“
    „Ja, den kenne ich. Soeben erst habe ich ihn an seiner Wohnung abgesetzt.“
    „Leistet er etwas?“
    „Hoffentlich.“
    „Wie? Haben Sie ihn noch nicht gehört?“
    „Ich war dabei, als er irgend ein Liedchen trällerte. Andere Leistungen vernahm ich noch nicht von ihm. Aber er soll in Amerika gute Erfolge gehabt haben.“
    „So! Na, ich werde ihn benachrichtigen.“
    „Tun Sie das bald, da Sie ihn bereits für heut abend wünschen; er könnte sich sonst anderweit versagen.“
    „Schön, schön! Dort liegt Papier und alles nötige. Ich bin noch nicht fertig mit dem Frühstück und habe fettige Hände. Wollen Sie dem Mann nicht einige Zeilen in meinem Namen schreiben?“
    „Gern!“
    Der Graf setzte sich an den Schreibtisch und verfaßte jene wenigen Zeilen, welche der Sänger dann erhielt. Er lächelte still vor sich hin. Er kannte den Kommerzienrat, und er kannte Criquolini. Er gedachte, ihnen einen kleinen Streich zu spielen. Beide hatten harte Köpfe und besaßen sehr viel Eigenliebe. Einer wie der andere war für Beleidigungen sehr empfindlich. Indem der Graf dem Bankier verheimlichte, daß Criquolini ein Sänger von Ruf sei, und indem er die Zeilen, welche er schrieb, so abfaßte, daß ihre Kürze den Sänger fast beleidigen mußte, sorgte er dafür, daß es zu einer kleinen Szene zwischen den beiden kommen mußte.
    Ein Sänger von dem Ruf des einstigen Wildschützen durfte natürlich nicht engagiert und wie ein gewöhnlicher Musiker bezahlt werden. Man mußte ihn laden und mit den andern Gästen gleichstellen.
    Der Graf war Criquolini keineswegs sehr zugetan. Er war überzeugt, daß dieser ein innerlich verwahrloster Mensch, ein fast gemeiner Charakter sei. Da aber der Sänger im Klub eingeführt worden war, verkehrte der Graf um der anderen Mitglieder willen gelegentlich mit ihm. Er hatte ihn heute nach Hause gebracht, nicht etwa aus besonderer Zuneigung, sondern aus Rücksicht darauf, daß er selbst mit ihm gefrühstückt hatte. Mußte der zu drei Vierteilen betrunkene Tonkünstler seine Wohnung zu Fuß aufsuchen, so konnte er bei seinem Charakter unterwegs sehr leicht mit der Polizei in Konflikt geraten. Das hatte der Graf vermeiden wollen.
    Auch den Baron hatte er längst durchschaut und als einen Schwindler erkannt. Er verachtete ihn und zeigte ihm nur äußerlich diejenige Freundlichkeit, welche ein Gebot der guten Sitte ist.
    Als er die Zeilen vollendet und die Adresse geschrieben hatte, gab er beides dem Bankier zu lesen.
    „Vortrefflich!“ nickte dieser. „Ein Diener mag das Billet sofort besorgen.“
    Der gefällige Graf klingelte und gab den Brief ab. Er glaubte die Angelegenheit nun erledigt; aber der Jude sagte, immer kauend:
    „Nun noch eins, lieber Freund; die Hauptsache. Ist Ihnen der Name Ubertinka bekannt?“
    „Allerdings. So heißt ja jene Sängerin, welche in Mailand, Venedig, Rom und Neapel ein so großes Aufsehen erregte.“
    „Die meine ich. Halten Sie diese für gut?“
    „Wozu?“
    „Bei mir zu singen.“
    „Ah! Etwa heut abend?“
    „Gewiß.“
    „So müßte sie ja hier sein.“
    „Bitte, bemühen Sie sich nochmals an den Schreibtisch. Dort liegt die Liste der bei der Polizei neu angemeldeten Fremden. Suchen Sie da nach dem Hotel de l'Europe, Asperngasse Nummer zwei, also gar nicht weit von mir.“
    Der Graf fand die bezeichnete Stelle. ‚Signora Ubertinka, Sängerin‘ war da zu lesen.
    Der Graf war ein großer Freund des Theaters, besonders der Oper, des Gesanges. Er interessierte sich sehr für alles neu auf diesem Gebiete

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