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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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freilich ganz dasselbe; aber wenn du offen sein willst, so wirst du es mir gestehen, daß du lieber eine Sängerin hörst, welche zeigt, daß sie nebenbei auch reizend ist, als eine welche sich wie eine frierende Nonne verhüllt.“
    „Ganz richtig! Aber bei meiner Geliebten muß ich mir das verbitten. Wenn dagegen die Tänzerin Trikots anlegt, so kann ich als Künstler nichts dagegen haben, folglich als Mann auch nicht. Mögen andre sehen, wie schön sie ist, wenn nur diese Schönheit mein alleiniges Eigentum bleibt.“
    „Du magst ja recht haben, obgleich ich der Ansicht bin, daß du gegen die Tänzerin weit nachsichtiger bist als gegen diese Leni. Nach allem, was du mir von der letzteren erzählt hast, interessiere ich mich für dieselbe so sehr, daß ich wissen möchte, was aus ihr geworden ist und wo sie sich befindet.“
    „Willst du sie aufsuchen?“ fragte der Krickel-Anton lachend. „Dann gut Glück dazu!“
    „Vom Aufsuchen ist keine Rede. Ich habe anderes zu tun als mich um eine untergeordnete Sängerin zu bekümmern; aber wenn ich sie zufällig träfe und ihr meine Teilnahme merken ließe, so fragt es sich, ob ich nicht doch deine Eifersucht erregen würde.“
    „Eifersucht? Papperlapapp!“
    „Oho! Alte Liebe rostet nicht!“
    „Diese ist aber gerostet. Und wenn die Leni mir als eine der bedeutendsten Künstlerinnen begegnete, so würde ich ihr doch nur zeigen, wie sehr ich sie verachte. Von einem Aufflammen der alten Liebe oder gar von Eifersucht könnte gar keine Rede sein.“
    „Weißt du denn wirklich, daß sie verschollen ist?“
    „Ja, ganz genau. Im vorjährigen Album ist ihr Name noch zu finden. ‚Signora Mureni, München‘, ist da zu lesen. Im gegenwärtigen Jahrgange steht sie nicht mehr. Ich habe mich gleich nach meiner Ankunft in Wien an ihre Münchener Adresse gewendet, um –“
    „Also doch –!“ lachte der Baron.
    „Pah! Nicht aus Herzensinteressen, sondern nur, um überhaupt zu wissen, woran ich bin. Ich habe die Antwort erhalten, daß sie von dort spurlos verschwunden sei und niemand wisse, wohin; kein Mensch habe seitdem wieder etwas von ihr gehört.“
    „Aber dennoch muß sie existieren, und zwar nicht unter ganz schlechten Verhältnissen.“
    „Woraus vermutest du das?“
    „Haben dir nicht deine Eltern soeben geschrieben, daß sie wöchentlich fünfzehn Mark von ihr erhalten?“
    „Ah, daran dachte ich nicht. Sie lebt also noch, aber unter welchen Verhältnissen? Als Sängerin existiert sie ganz gewiß nicht mehr; wahrscheinlich verdient sie sich das Geld durch ihre Schönheit, welche nun wohl einem abgegriffenen Prachtband gleichen wird. Da ist es eigentlich eine großartige Beleidigung für mich, daß sie das auf diese Weise verdiente Geld meinen Eltern schickt. Das tut sie aus Rache. Ich werde mich also doch wohl nach dem Ort erkundigen, von welchem aus diese Unterstützung den Meinen zufließt. Sie dürfen es nicht annehmen!“
    „Willst du sie ihnen nehmen? Dann müßtest du sie natürlich entschädigen, lieber Freund.“
    „Das ginge dann aus meinem Beutel? Hm! Ich werde mir die Sache denn doch überlegen müssen.“
    Der Sohn, welcher hier in Wien wie ein Graf lebte, wollte es sich überlegen, ob er seinen armen, alten, halbblinden Eltern eine für ihre mehr als einfachen Bedürfnisse hinreichende Unterstützung senden solle! So weit war es mit dem Herzen dieses Mannes gekommen! Sogar der Baron, welcher keineswegs ein großer moralischer Held, sondern vielleicht ein sittlicher Lump war, schüttelte den Kopf und sagte:
    „Eigentlich ist das deine Pflicht. Nicht?“
    „Möglich. Aber der Mensch besitzt eben glücklicherweise die Freiheit, zu wählen, ob er seine Pflicht erfüllen will oder nicht. Es gibt Pflichten, die einem höchst lästig werden können. Übrigens bin ich jetzt gar nicht disponiert, über so unangenehme Sachen nachzudenken. Mir brummt der Kopf, und ich muß schlafen, um später wieder bei guter Laune zu sein.“
    „Das ist natürlich für mich ein Fingerzeig, dich gütigst allein zu lassen. Nicht wahr?“
    „Nimm es so.“
    „Nun gut! Natürlich sehen wir uns heut wieder?“
    „Ich hoffe es – Was gibt es denn wieder?“
    Diese Frage war an den Diener gerichtet, welcher abermals einen Brief hereinbrachte.
    „Entschuldigung!“ sagte derselbe. „Ist soeben von einem Lakaien für Sie abgegeben worden.“
    „Nimm du ihn!“ bat der Sänger den Baron, sich ärgerlich auf den Diwan ausstreckend.
    Dieser letztere nahm dem Diener,

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