71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
vergebens.“
„Ich kann dich nicht begreifen!“
„So! Bist etwa du ein Heiliger?“
„Gar nicht. Aber vorsichtig bin ich.“
„Pah, Vorsicht! Genuß, Genuß, das ist die Hauptsache!“
„Hast du nicht deine Tänzerin?“
„Ja, aber ein richtiger Jäger nimmt, wenn er Hochwild erlegt hat, auch noch einen Hasen mit, wenn er ihm in den Weg kommt.“
„Und die Blamage rechnest du nicht?“
„Nein. So ein Weib kann mich gar nicht blamieren. Sie soll sich einen andern Mieter suchen.“
„Wie? Du willst wirklich ausziehen?“
Das Gesicht des Barons nahm bei dieser Erkundigung den Ausdruck der Enttäuschung an.
„Ja, ich ziehe aus.“
„Das ist dumm!“ entfuhr es ihm.
„Warum?“
„Weil – weil das Logis nicht übel ist.“
„Es gibt tausend ähnliche und noch bessere. Ich wohne möbliert, kann also jeden Augenblick fort. Ich bin übrigens überzeugt, daß der alte, grimmige Drache wirklich seine Drohung erfüllt, wenn ich nicht bis morgen ausgezogen bin.“
„Ich an deiner Stelle würde das abwarten.“
„Fällt mir nicht ein! Wer Ehrgefühl besitzt, mag mit solchen Personen nichts zu tun haben. Sprechen wir von etwas anderem! Du verkehrst also nicht bei dem Kommerzienrat?“
Als der Sänger von seinem Ehrgefühl sprach, glitt ein mitleidiges Lächeln über das Gesicht des Barons, welcher jetzt antwortete:
„Nein. Ich bin ihm noch nicht vorgestellt.“
„Willst du seine Bekanntschaft machen, so werde ich dich bei ihm einführen.“
„Die Bekanntschaft eines solchen Mannes ist immerhin erwünscht. Aber wie willst du mich bei ihm einführen? Du verkehrst ja selbst noch nicht bei ihm.“
„Werde aber Hausfreund werden; an meinen jetzigen Besuch wird sich natürlich ein intimerer Verkehr knüpfen. Es wäre mir sehr lieb, wenn du mir einen Wink in Beziehung auf den Charakter dieses Krösus geben könntest.“
In diesem Augenblick kam eine Equipage herangerollt. Eine einzelne Dame saß darin.
„Schau!“ meinte der Baron, „da hast du gleich die Kommerzienrätin, seine Frau.“
Der Sänger sah sich die Dame an und sagte dann, als sie vorüber war, im Weitergehen:
„Nicht übel! Zwar etwas aufgedonnert, hat aber das Aussehen eines liebenswürdigen Charakters.“
„Den hat sie auch. Man erzählt sich sehr viel von ihren Wohltaten. Sie ist Jüdin.“
„Das sieht man ihrem orientalischen Gesichtsschnitt an. Er ist natürlich auch Israelit, wie sein Name Hesekiel beweist?“
„Ja. Man sagt sich, daß er früher mit alten Kleidern gehandelt habe. Eine Geistesgröße ist er nicht, sondern ein Geldprotz.“
„So harmoniere ich nicht mit ihm.“
„Er wird sich nicht darüber grämen.“
„Ich glaube, daß ich mich nicht viel bei ihm einstellen werde. Bei solchen Menschen ist es ja nicht möglich, sich zu amüsieren.“
„Oh, was das betrifft, so sind grad die Salons dieses Kommerzienrates sehr beliebt. Er zieht wirklich nur feine Leute herbei und ist auch in eigener Person ein Gegenstand der Unterhaltung; nur darf man sich das nicht merken lassen, wenn man ihm willkommen sein will.“
„Wieso?“
„Nun, er hat weder Bildung noch Kenntnisse, hält sich aber für ungeheuer klug und belesen. Bei einem Gespräch über Kunst und Wissenschaft fühlt er sich in seinem Element und schießt dabei solche Böcke, daß man platzen möchte, da man ihm natürlich nicht in das Gesicht hineinlachen darf, sondern nicht nur ernsthaft bleiben, sondern ihm sogar rechtgeben muß. Das vergrößert natürlich sein Selbstbewußtsein, und so kommt es, daß er sich für einen Mann hält, dessen Urteil gewichtig in die Waagschale fällt. Du wirst es gleich jetzt erfahren, wenn du zum ersten Mal bei ihm bist. Laß dich durch seine Reden nicht verblüffen, und lache ihn um aller Welt willen nicht aus, sonst läßt er dich hinauswerfen.“
„Kommt man denn bei ihm in gar so große Gefahr, in ein Gelächter auszubrechen?“
„Zuweilen, ja. Da ist die Asperngasse. Wir trennen uns. Wollen wir uns heut wiedersehen, so weißt du mich zu finden.“
„Vielleicht komme ich. Leb wohl!“
Sie reichten einander die Hand. Der Sänger ging in die erwähnte Gasse; der Baron aber schlenderte zurück, nach der Ferdinandbrücke zu.
Er machte keineswegs ein vergnügtes Gesicht.
„Verdammt!“ brummte er für sich hin. „Ich hatte es so schlau angefangen, zu erfahren, wie man zu seinem Geld kommen kann. Es ist so leicht, es sich zu holen, und nun muß der Einfaltspinsel die Dummheit mit dem Mädchen
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