71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
er nach der Stadt tragen wollte. Hatte sie es vielleicht auf dasselbe abgesehen?
Wohl nicht, denn sie befand sich jetzt doch bei ihm. Wie konnte sie da in seine Wohnung eindringen, um zu stehlen?
Eins war ihm unlieb. Nämlich daß Martha den Grafen zu pflegen hatte. Vielleicht war sie nun abgehalten, heut zu kommen.
Dennoch kehrte er nach der Stelle zurück, an welcher sie ihn erwarten wollte. Diese war nur wenige Schritte entfernt. Wie groß war da die Gefahr gewesen, vom Förster oder der Bäuerin bemerkt zu werden.
Er hatte nicht vergebens gehofft. Bereits nach kurzer Zeit vernahm er schnelle, leichte und leise Schritte. Er befand sich natürlich nicht mitten auf dem lichten Waldweg, sondern er hatte unter den Bäumen gewartet. Er erkannte die Geliebte, welche stehenblieb und sich umschaute. Er trat hervor. Sie erschrak zunächst bei seinem Anblick; aber als sie ihn erkannte, verwandelte sich ihre Bestürzung in Freude.
„Bist noch da!“ sagte sie.
„Wo soll ich sein, wannst mich herbestellt hast, Martha?“
„Ich hab denkt, daßt davongangen bist, weil ich so spät kommen tu.“
„O nein. Ich hätt wartet bis morgen früh. Ich weiß, daßt gern dein Wort hältst.“
„Ja, wann ich kann, dann allemalen. Heut aber wäre es beinahe nicht gangen. Ich muß dir sagen, warum, damit mir nicht bös bist.“
„Ich bin dir nicht bös, denn ich weiß es schon.“
„Nein, das kannst nicht wissen.“
„Sogar ganz gut. Meinst doch den Graf?“
„Ja. Ich hab hört, daßt mit dabei gewest bist, als er gefunden worden ist; du weißt also, was mit ihm geschehen ist. Das weitere aber kannst nicht wissen.“
„Und dennoch weiß ich es.“
„Nun, was?“
„Daß der Oberleutnant bei euch schläft und daßt ihn pflegen mußt.“
„Wahrhaftig, er weiß es schon!“ sagte sie, erstaunt die Hände zusammenschlagend. „Von wem weißt es denn?“
„Von deinem Oheim.“
„Hatt'st mit ihm sprachen?“
„Nein. Ich hab ihn belauscht, als er es seiner Liebsten erzählte.“
„Seiner Liebsten? Wen meinst?“
„Weißt's nicht?“
„Nein – nein“, antwortete sie zögernd.
„Martha, du weißt's aber doch. Du willst's mir aber nicht sagen.“
„Weißt denn du so was?“
„Ja.“
„Nun, so sag mal, wer diejenige ist, die du meinst!“
„Meine Bäuerin.“
„Himmel! Er weiß es auch!“
„Ja, das weiß ich und auch noch andere wissen es.“
„Welche Schand!“
„Ja, es ist gar nicht auszusagen! Einen armen, blinden Mann zu betrügen!“
„Und die beiden haben heut abend mitnander sprochen?“
„Ja. Sie hatten sich bestellt und zwar gleich hier, zwanzig oder dreißig Schritte vorwärts von uns.“
„Herrgottle! Da hätten's uns ja ganz leicht derwischen könnt!“
„Freilich! Es ist ein Glück, daßt so spät kommen bist. Auch der Förster kam so spät. Die Bäuerin war ganz zornig auf ihn deshalb.“
„So sind's wohl im Zorn ausnander gegangen?“
„O nein. Sie hat ihm verziehen, als sie hörte, weshalb er nicht kommen konnt.“
„Und wohin sind sie nun?“
„Hinaufi zum Dachsberg, wo er nach dem Posten zu schauen hat.“
„Da geht sie mit? Das ist ja eine Todsünden!“
„Oh, es ist eine noch viel größere Sünden, als dir denken kannst. Es ist noch viel mehr dabei, alst ahnen magst.“
„Was denn? Du machst mir beinahe eine große Angst.“
„Brauchst keine zu haben!“
„So sag's mir, wast meinst!“
„Später, Martha, später! Jetzt ist die Sach noch nicht so reif, daß man von derselben zu denen Leutln reden könnt.“
„Du meinst, zu denen fremden Leutln?“
„Ja.“
„Da mußt freilich schweigsam sein. Mir aber kannst's doch sagen?“
„Warum grad dir?“
„Weil – weil – weil ich doch nicht eine Fremde für dich bin.“
„Nicht? Was bist denn?“
Sie schwieg.
„Martha, bitte, sag, wast mir bist!“
„Eine – eine – eine Freundin.“
„So! Das glaub ich nicht.“
„Oh, das kannst glauben.“
„Hast's etwa schon bewiesen?“
„Nein. Aber gib mir nur die Gelegenheit, es dir zu beweisen.“
„Das wird wohl fehlschlagen. Schau, wann man Freund und Freundin ist, so sagt man doch wenigstens einen Gruß und reicht sich die Hand. Hast das tan vorhin?“
„Hast recht, Fritz. Ich hätt grüßen sollt. Aber alst so da aus denen Bäumen tratst, war ich ganz verschrocken, und nachher hab ich mich so freut darüber, daß es kein anderer war. Darum hab ich's ganz vergessen, einen Gruß zu sagen. Nun aber will ich es gleich
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