71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
ergriff sie den Geliebten am Arm und schrie voller Angst:
„Weich aus! Er schießt.“
Sie riß ihn an sich. Er zuckte zusammen und wankte.
„Herrgott! Er ist troffen!“ zeterte Martha und warf ihre beiden Arme um ihn, ihn fest umschlingend.
Die Bäuerin hatte nach diesem Schuß sofort die Flucht ergriffen. Sie rannte nach dem Zaun und kletterte mit der Schnelligkeit einer Katze hinüber. Der Bastian hatte sich von dem erhaltenen Hieb wieder erholt; er sah ein, daß Flucht das geratenste sei und folgte seiner Herrin mit derselben Schnelligkeit.
„Laß mich! Laß mich los!“ rief Fritz. „Ich will ihnen nach; ich will sie haben.“
„Nein, nein!“ antwortete Martha, ihn nur noch fester umschlingend. „Sie schießen auf dich; sie dermorden dich; du darfst nicht fort.“
„Nix, gar nix können's mir tun. Laß mich nur fort.“
„Nein, du bleibst, du bleibst!“
„So zwingst mich, Gewalt zu brauchen!“
Er wollte sie von sich abschieben, aber er konnte es nicht, außer wenn er ihr hätte sehr weh tun wollen. Sie hing sich so an ihn, daß er gezwungen war, nachzugeben.
„Herrgottle! Warum läßt mich nicht fort!“ seufzte er auf. „Nun sind's entkommen.“
„Laß sie!“ bat sie zitternd. „Sie mögen immer entkommen, wann sie nur dir nix anhaben können. Hörst, was ist das?“
Sie hörten jetzt, daß heftig an der hintern Tür gerüttelt wurde.
„Wer will herausi?“ fragte Martha.
„Ich, der Graf!“
„Ach so! Sagen's dera Magd.“
„Die ist nicht zu finden.“
Dabei trat er mit den Beinen abwechselnd gegen die Tür.
„Da ist zu; da können's nicht ausi. Gehens durch den Kuhstall. Dann sind's sogleich im Hof.“
Jetzt hörten die beiden eine Tür aufreißen; dann erscholl ein zorniger Schrei im Stall:
„Himmelelement! Wer liegt denn da?“
Das Mädchen trat an die Tür und fragte hinein:
„Was suchen 'S denn?“
„Ich bin über einen Kerl gestürzt.“
„Das ist kein Kerl, sondern unsere rotscheckerte Kuh.“
„Alle Teufel! Was will die denn da?“
„Na, das ist doch ihr Stall! Oder meinen 'S, daß ich die Kuh in den Glasschrank stellen soll?“
„Ach so! Der Stall! Das ist ja richtig. Aber wo ist meine Waffe?“
„Suchen 'S nur!“
Es vergingen einige Augenblicke, während deren er suchte; dann hörte man seine Stimme:
„Hier fühle ich sie. Ja, das ist der Hirschfänger. Nun, da bin ich. Wo ist der Halunke?“
Er erschien unter der Tür, den Hirschfänger in der Faust, und blickte sich um. Als er Fritzen sah, sprang er auf ihn zu und rief:
„Da ist er! Da haben wir ihn! Hund ergibt dich sofort!“
„Was?“ lachte Fritz. „Ich soll mich ergeben?“
Der Graf sprach nicht weiter. Er erinnerte sich jetzt daran, daß der Samiel eine ganz andere Tracht gehabt hatte. Er erkannte zugleich auch des Knechtes vom Mond erleuchtetes Gesicht.
„Sapperment!“ sagte er. „Ein Irrtum. Ich dachte der Samiel wäre es.“
„O nein. Der bin ich nicht.“
„Das weiß ich. Aber er war doch hier?“
„Freilich!“
„Wo ist er?“
„Fort, entkommen.“
„Alle Teufel! Warum habt ihr ihn nicht festgehalten?“
„Warum haben 'S ihn nicht selber festhalten, Herr Graf?“
„Weil – brrr! Wisch mir den Hirschfänger mal gehörig ab.“
Er hielt ihm die Waffe hin. Fritz aber trat zurück und antwortete lachend:
„Dank schön, Herr Oberleutnant. Was geht mich der an! Gar nix. Werfen 'S ihn weg, so sind 'S ihn los.“
„Hm! Ja, hast recht.“ Er warf ihn fort und sagte dann weiter: „Also ihr habt den Samiel gesehen?“
„Ja, alle beide“, antwortete Fritz.
„Beide –?“
„Sapperment! Droben bei mir –“
Er sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblick, wo er von seinem Abenteuer erzählen wollte, erkannte er erst, wie wenig ruhmvoll dasselbe für ihn sei. Ließ sich das nicht vertuschen? Vielleicht doch! Niemand wußte, daß der Samiel bei ihm gewesen sei, und der Samiel würde doch nicht sich selbst verraten.
„Was wollen 'S sagen?“ fragte Fritz.
„Ich meinte, droben bei mir hörte ich den Schrei, daß der Samiel hier sei. Darum zog ich schnell das Allernotwendigste an, riß den Hirschfänger vom Nagel und eilte herab. Leider war die Haustür verschlossen. Ich ging in die Stube, mir öffnen zu lassen; aber es war niemand da. Endlich erhielt ich den guten Rat, durch den Stall zu eilen, und darum komme ich zu spät. Sapperment! Da es zwei gewesen sind, so hat der eine Wache gestanden, während der andere mich – na, jammerschade,
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