71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
jammerschade, daß ich nicht zur rechten Zeit gekommen bin. Warum hast du sie den entkommen lassen?“
„Ich konnt sie nicht halten.“
„Oho! So ein junger Kerl wie du! Du brauchtest ja nur zuzugreifen.“
„Sie auch. Und sie haben 'S doch nicht tan.“
„Ich? Wieso?“
„Am Abend draußen im Wald, wo sie festbunden worden sind vom Samiel. Warum haben 'S ihn da nicht auch festhalten?“
„Das ist was ganz anderes.“
„Nein. Sie waren bewaffnet und ich nicht. Sie wurden nicht abgehalten, sich zu wehren, ich aber, als ich sie festhalten wollte, konnte ich nicht, weil die Martha hier mir die Hände halten hat. Wer hat also den Vorwurf verdient? Sie oder ich?“
„Räsoniere nicht!“
„Ich zank ja nicht, sondern ich antworte ganz ruhig und höflich.“
„Wo kamen die Kerls denn her?“
„Da aus dem Stall.“
„Ah! Und wo gingen's hin?“
„Dort über den Zaun.“
„So! Hm! Wer hat denn geschossen? Ich hörte einen Schuß.“
„Dera eine Samiel schoß auf mich, als ich den zweiten niederworfen hatte.“
„Wurdest du getroffen?“
„Ja.“
„Wo?“
„Ich weiß noch nicht genau, aber ich glaub halt an dera Brust, denn da tut mir's weh und es lauft mir auch das warme Blut herab. Das tu ich deutlich fühlen.“
Martha schrie vor Schreck laut auf:
„Herr, mein Heiland! Verwundet bist?“
„Hab keine Sorg! Es kann nicht gefährlich sein.“
„Wer kann's wissen! Mein Himmel! Wannst dich verbluten tust. Ich hab's wohl merkt, daß es dir einen Juck und Ruck geben hat, als dera Samiel auf die schießen tat. Komm schnell eini in die Stuben. Wir müssen sofort nachschauen.“
Sie ergriff ihn am Arm und zog ihn mit sich fort. Der Offizier folgte still. Ihm war gar nicht wohl zumute. Er hätte gern losgedonnert und losgewettert, aber die Furcht vor der ungeheueren Blamage lag ihm in den Gliedern. Natürlich verrammelten sie nun jetzt, da es zu spät war, die Stalltüre so fest, daß es keinem Samiel wieder gelingen konnte, einzudringen.
Als sie in die Stube gelangten, war es in derselben finster.
„Wo ist denn die Magd mit dera Lampen?“ fragte Martha.
„Es war schon vorhin dunkel, als ich hereinkam, um mir öffnen zu lassen.“
„Sie kann aber doch nicht fort sein! Zu Bett ist sie nicht, denn sie mußt auf mich warten. Dorothea, Dorothea?“
Sie rief diesen Namen mit laut schreiender Stimme, denn die alte Magd war sehr taub. Als sie nun still horchten, hörten sie einen Seufzer.
Dieser Seufzer klang so angstvoll und hohl, als ob er aus der Tiefe des Erdinnern herauskäme.
„Dorothea, wo steckst denn? So sag es uns doch nur.“
Da erklang es ebenso dumpf und hohl wie vorher:
„O sichrer Mensch, bekehre dich!
Du lebst ja hier nicht ewiglich.
Zu seiner Zeit mußt du davon,
Und dann erhältst du deinen Lohn,
Nachdem du hast in dieser Welt
Viel schlimme Dinge angestellt!“
„Was ist den das?“ fragte der Graf. „Das klingt ja höllisch schauerlich.“
„Das ist das einzige Lied, welches die Alte im Kopf hat. Das betet sie bei jeder Gelegenheit, wann sie Angst oder Freude hat, zur Kirmeszeit und auch zum Allerseelentag. Dorothea, so komm doch nur! Wo hast denn die Lampen hintan? Wir wollen Licht machen!“
Als Antwort erklang es schauerlich:
„O schlag, du sichres Menschenkind,
Die Warnung ja nicht in den Wind!
Laß ab von deiner Missetat;
Noch ist es Zeit, noch ist es Rat.
Was du versäumst in dieser Zeit,
Das reut dich in der Ewigkeit!“
Da stampfte Martha ungeduldig mit dem Füßchen und klagte: „Wann wir noch lange so stehen müssen, da kann dera Fritz sich fast verbluten. Hat keiner ein Streichholz?“
„Ich hab welche“, antwortete Fritz.
„Brenn schnell eins an.“
Der Bursche tat das, und nun sah man beim Schein des Hölzchens einen wirren Haufen in der Stubenecke liegen.
„Was ist denn dort?“ fragte Fritz.
„Das sind die Kartoffelsäcke, welche die Dorothea heut abend hat ausbessern müssen.“
„Von dorther kam auch die Stimm, welche sprochen hat. Sie wird doch nicht darunter stecken!“
„Warum soll sie das tun?“
„Wer weiß es! Aus Furcht; ich werd's doch mal untersuchen.“
Er ging in die Ecke und bückte sich nieder. Ja wirklich, da lag die Alte unter ihnen, zusammengerollt fast wie ein Igel. Als er sie berührte, schrie sie laut auf:
„Gnade, Gnade! Mich nicht, mich nicht!“
„Was fallt dir ein! Steh doch aufí!“
„Nicht mich, nicht mich!“ wimmerte sie. „Schlagt eine andere tot.“
Er faßte sie an und hob sie
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