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72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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es mit heimlichem Entzücken. Dieses Mädchen besaß eine natürliche Anmut und eine geistige Begabung, welche für die Zukunft die besten Aussichten ließ.
    „So! Sitze ich recht?“ fragte sie.
    „Vortrefflich. Wenn der Kellner kommt, wird er meinen, Sie seien in einer feinen Pension erzogen worden.“
    „Mein Gott! Meine Pension bestand in einem leeren Ziegenstall, in welchem ich schlafen mußte, in trockenem Brot und in Schlägen, welche ich so oft bekam.“
    „Arme Anita!“
    „Ja, arm war ich, sehr arm.“
    „Ihr Vater war tot und die Mutter lebte wohl auch nicht mehr?“
    „Sie war bereits bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater hatte kein Auge für mich. Er liebte nur die Kunst. Der Oheim sollte mich erziehen, aber diese Erziehung bestand nur in Grausamkeit und Schlägen. Und als Vater dann auch starb wurde es noch viel trauriger.“
    „War Ihr Vater sehr arm?“
    „Er verdiente viel Geld, aber er lebte so, als ob er gar nichts besitze.“
    „Und wo ist sein Geld hingekommen?“
    „Der Oheim hat es genommen.“
    „Er soll es wieder herausgeben.“
    „Kann man ihn dazu zwingen?“
    „Gewiß.“
    „Er wird nicht viel mehr haben, und was er noch davon besitzt, sollte Petro bekommen, wenn ich seine Frau würde.“
    „Ein schöner Plan! Diesen Lieblingsschüler Petro sollten Sie lieben können? Unmöglich!“
    „Lieblingsschüler?“ fragte sie erstaunt. „Ist er Ihnen denn bekannt?“
    „Ja, wir haben heut mit ihm gesprochen.“
    „Heut? Etwa hier in Triest?“
    „Ja. Die beiden sind da, um Sie zu suchen.“
    „Heilige Madonna! Welch ein Schreck!“
    „Sie brauchen nicht erschrecken.“
    „O doch! Wenn sie nun hierherkommen!“
    „Das fällt ihnen gar nicht ein. In so ein feines Hotel getrauen sie sich gar nicht.“
    „Aber wenn sie dennoch kämen!“
    „So würde der Hauptmann ihnen schön heimleuchten. Darauf können Sie sich verlassen.“
    „Es ist mir entsetzlich angst!“
    „Beruhigen Sie sich! Es wird Ihnen kein Mensch ein Haar krümmen dürfen.“
    „Verlassen Sie mich nicht, Johannes! Gehen Sie ja nicht fort von mir!“
    „Ich bleibe bei Ihnen. Sie werden mit uns reisen und später bei meinen Eltern wohnen.“
    „Wirklich, wirklich? Ist's wahr?“
    „Gewiß. Ich verspreche es Ihnen, und ich halte mein Wort.“
    „Ihre Eltern wohnen in Deutschland?“
    „Ja, in Bayern. Sie haben eine Mühle und sind gar liebe und brave Leute.“
    „Das glaube ich so gern, so gern. Und Sie sind also ein Künstler?“
    „Ein Maler wie Ihr Vater.“
    „Wie schön das ist! Und Ihr Freund?“
    „Der ist gar ein Dichter. Sie sehen also, daß Sie sich bei passablen Leuten befinden. Es darf Ihnen um Ihre Zukunft gar nicht bange sein.“
    „Oh, wenn ich nur nicht zu dem Juden oder gar zum Oheim zurück muß, so bin ich zufrieden. Und wenn ich gar mit Ihnen nach Deutschland darf, so ist mein Glück gar vollständig.“
    „Vielleicht suche ich Ihren Oheim auf.“
    „O nein! Tun Sie das nicht!“
    „Warum nicht?“
    „Er würde mich zurückverlangen.“
    „Wir würden ihn auslachen. Er hat alle Ihre Papiere, deren Sie später bedürfen. Er muß sie herausgeben. Aber ich will Sie nicht beängstigen. Der Hauptmann soll bestimmen, was wir tun werden.“
    Jetzt kam der Kellner, um zu decken. Anita verhielt sich schweigsam dabei. Sie war bemüht, keinen Fehler zu machen.
    Da Hans sich allein mit ihr befand, so fragte er in richtigem Taktgefühl:
    „Wie lange ist des Nachts Ihr Tor geöffnet? Mein Onkel, der Hauptmann, wird wohl spät zurückkehren.“
    „Wir haben die ganze Nacht hindurch offen, da immerfort Züge kommen.“
    Jetzt mußte der Kellner denken, daß die beiden nahe verwandt seien. Ihrem Beisammensein war also jede üble Deutung genommen.
    Dann saßen sie einander gegenüber, um zu essen. Anita beobachtete jede Bewegung ihres Freundes, um es ihm gleichzutun und ja keinen Verstoß zu begehen.
    Und nach Tisch, als abgeräumt worden war, gab es so sehr viel zu erzählen, daß ihnen die Zeit wie im Flug entschwand.
    Dabei war keineswegs die Rede von Liebe oder ähnlichem. Diese zwei jungen Seelen waren so rein und unbefangen, daß sie gar nicht an das Ausdrücken ihrer Empfindungen dachten.
    Daß sie sich lieb hatten, das wußten sie, das sahen sie. Die leuchtenden Augen verrieten es. Es zu sagen, war unnötig.
    So verging die Zeit, ohne daß es ihnen einfiel, sich nach der Rückkehr des Sepps zu sehnen.
    Dieser hatte mit Max die Richtung nach der Gegend eingeschlagen, in welcher der

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