72 Tage in der Hoelle
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» Hundert Prozent, hundertzehn ...«
» Höhe halten! Höhe halten! «
Ich blickte zu der Rettungsmannschaft hinüber und suchte bei ihnen nach Anzeichen, dass dies alles normal war, doch ihre Gesichter waren blass und eingefallen. Garcia quälte weiterhin die Motoren, kämpfte um jeden Höhenmeter und schaffte es schließlich, dass der Hubschrauber über den Gipfel des Berges stieg. Aber wir hatten den höchsten Punkt kaum hinter uns, da kamen starke Luftströmungen über den Bergkamm und warfen uns heftig zurück. Garcia hatte keine andere Wahl, als in einer langen Kreisbahn in den Sinkflug überzugehen, sonst wäre die Maschine gegen den Steilhang gedrückt worden. Als wir sanken, begann ich zu schreien, und ich schrie so lange, bis wir wendeten und einen neuen Angriff auf den Gipfel unternahmen.Wieder wurden wir auf die gleiche beängstigende Weise zurückgeworfen.
»Über den Berg schaffen wir es nicht«, erklärte Garcia. »Wir müssen außen herum einen Weg finden. Das Ganze ist jetzt ein lebensgefährliches Unternehmen, und ich fliege erst weiter, wenn alle an Bord sich freiwillig gemeldet haben. Ich überlasse es euch: Sollen wir weitermachen oder umkehren?«
Ich tauschte Blicke mit den anderen in der Maschine aus, dann wandten wir uns dem Kapitän zu und nickten. »Okay«, sagte er, »dann haltet euch fest, das wird ein unruhiger Flug.« Wieder meldete sich mein Magen, als wir eine Rechtskurve drehten und unmittelbar südlich des Mount Seler einige niedrigere Gipfel überflogen. Es war die einzig mögliche Route, allerdings wichen wir jetzt von dem Weg ab, den Roberto und ich genommen hatten, sodass ich in der unbekannten Landschaft unter uns schnell die Orientierung verlor.
»Wohin?«, wollte Garcia wissen.
»Ich weiß nicht genau …Ich bin ganz durcheinander …«
Ich musterte den Horizont und suchte hektisch nach einem Orientierungspunkt, immer in der entsetzlichen Angst, meine Freunde könnten endgültig verloren sein.Wohin ich auch blickte, überall sah es gleich aus, ein endloser Ozean aus weißem Schnee und schwarzen Felsen …aber dann fiel mir im gezackten Profil der Bergkämme etwas ins Auge.
»Warten Sie!«, rief ich. »Diesen Berg kenne ich! Ich weiß, wo wir sind! Tiefer!«
Als wir zwischen die Berge sanken, wurde mir klar, dass Garcia einen Weg um die Berge gefunden hatte, die im Süden an die Absturzstelle grenzten.Wir waren jetzt über dem Tal, das wir bei unserem Fluchtversuch nach Osten durchwandert hatten, und näherten uns in westlicher Richtung der Ostflanke des Mount Seler.
»Da oben müssen sie sein«, sagte ich und zeigte nach Osten.
»Ich sehe nichts«, erwiderte der Pilot.
»Weiter!«, rief ich. »Sie sind da auf dem Gletscher!«
»Der Wind ist schlimm«, warf der Copilot ein. »Ich weiß nicht, ob wir dort landen können.«
Ich starrte auf die Abhänge, und plötzlich hatte ich sie ausgemacht, einen kleinen Fleck im Schnee. »Ich sehe das Flugzeug!«, schrie ich. »Da, links.«
Garcia musterte das Gelände. »Wo... ich kann nichts erkennen. Moment, doch, ich sehe sie. Still jetzt. Alle den Mund halten.«
Im nächsten Augenblick kreisten wir über der Absturzstelle. Mein Herz schlug wie ein Dampfhammer. Garcia kämpfte über dem Gletscher gegen starke Turbulenzen, aber meine Ängste schwanden, als ich eine Reihe winziger Gestalten aus dem Flugzeugrumpf kommen sah. Selbst aus dieser Höhe konnte ich einige unterscheiden: Gustavo erkannte ich an seiner Pilotenmütze. Daniel, Pedro, Fito, Javier …und andere, die rannten und winkten. Ich versuchte, sie zu zählen, aber die Bewegungen des Hubschraubers machten es unmöglich. Von Roy und Coche, den beiden, die mir am meisten Sorgen bereiteten, entdeckte ich keine Spur.
Im Kopfhörer hörte ich Garcias Stimme. Er sprach zu der Rettungsmannschaft. »Der Abhang ist zu steil zum Landen«, sagte er. »Ich werde so niedrig wie möglich darüber schweben. Ihr müsst abspringen.« Dann begab er sich an die heikle Aufgabe, den Hubschrauber in dem wirbelnden Wind gefahrlos abzusenken.
»Scheiße! Schlimme Turbulenzen. Höhe halten.«
»Pass auf den Abhang auf. Wir sind zu nah dran!«
» Höhe halten! «
»Jetzt ist es besser...«
Er drehte den Hubschrauber so, dass eine Längsseite zum Abhang wies, dann ließ er die Maschine sinken, bis eine Kufe den Schnee berührte. »Los!«, rief er. Die Bergretter rissen die Schiebetür auf, warfen ihre Ausrüstung in den Schnee und sprangen unter den wirbelnden Rotorblättern
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