72 Tage in der Hoelle
Uferabschnitt, wo man den Wasserlauf durchqueren konnte. Nachdem wir ungefähr eine halbe Stunde auf einem schmalen Weg durch den Bergwald gegangen waren, kamen wir zu einer Lichtung. Dort standen zwei grob gezimmerte Holzhütten am Flussufer. »Wo sind wir?«, erkundigte ich mich, während wir gingen.
»Los Maitenes«, sagte Armando. Das ist der Name einer Gebirgsregion in der chilenischen Provinz Colchagua nicht weit von einem Fluss namens Azufre. »In diesen Hütten wohnen wir, wenn wir unsere Herden auf die Hochweiden treiben.«
»Unsere Freunde sind noch oben im Gebirge«, sagte ich. »Sie liegen im Sterben. Wir müssen so schnell wie möglich Hilfe holen.«
»Sergio ist schon unterwegs«, erwiderte Armando. Sergio Catalan, so erklärte er, sei der Mann auf dem Pferd, der uns am Abend zuvor als Erster gesehen hatte.
»Wie weit ist es?«, erkundigte ich mich.
»Der nächste Polizeiposten ist in Puente Negro«, antwortete er. »Etwa zehn Stunden mit dem Pferd.«
Aus der größeren Hütte kam ein zweiter Bauer, den Armando als Enrique Gonzales vorstellte. Er führte uns zu einem Lagerfeuer neben der größeren Hütte, und wir ließen uns auf Baumstümpfen nieder. Enrique brachte uns Käse und Milch.Armando fing an, in einem großen Topf über dem Feuer etwas zu kochen, und kurz darauf setzte er uns etwas Warmes zu essen vor – Teller mit Bohnen, Makkaroni und Brot. Wir verschlangen alles, was er uns brachte, und er musste lachen, während er unsere Teller immer wieder nachfüllte. Als wir endlich satt waren, wurden wir zu der zweiten Hütte gebracht, und dort warteten zwei Betten. Sie hatten keine Matratzen, sondern über die Sprungfedern waren nur ein paar Decken gebreitet, aber Roberto und ich bedankten uns überschwänglich bei Armando, und im nächsten Augenblick schliefen wir beide auch schon tief und fest.
Als wir aufwachten, war es fast Abend. Armando und Enrique warteten mit einer weiteren Mahlzeit auf uns – wieder Käse und Milch, ein Eintopf aus Fleisch und Bohnen, süßes dulce de leche auf Brot und heißer Kaffee.
»Wir essen eure ganzen Vorräte auf«, scherzte ich, aber die beiden Bauern lachten nur und drängten uns, immer weiter zu essen. Anschließend saßen wir alle entspannt um das Feuer. Armando und Enrique hörten gebannt zu, als Roberto und ich ihnen unsere Geschichte erzählten, aber es dauerte nicht lange, dann wurden wir unterbrochen: Zwei chilenische Polizisten kamen im Laufschritt auf die Hütte zu, und wenig später folgte eine Patrouille von zehn weiteren berittenen Beamten. Neben den Polizisten ritt Sergio Catalan. Als er abstieg, liefen Roberto und ich zu ihm und umarmten ihn. »Ihr braucht mir nicht zu danken«, sagte er leise, und als wir ihn an uns drückten, flüsterte er nur: »Dankt Gott, dankt Gott.«
Als der Hauptmann der berittenen Polizisten sich vorgestellt hatte, erklärte ich ihm, dass noch vierzehn weitere Überlebende an der Absturzstelle warteten. Er fragte nach den Namen, aber ich lehnte es ab, sie zu nennen. »Manche lagen schon im Sterben, als wir aufgebrochen sind«, erklärte ich. »Ich fürchte, einige sind mittlerweile tot. Wenn Sie die Namen bekannt geben, wecken Sie bei den Eltern vielleicht falsche Hoffnungen, und dann verlieren sie ihre Söhne ein zweites Mal.«
Dafür hatte der Hauptmann Verständnis. »Wo ist das Flugzeug?«, wollte er wissen. Ich sah Roberto an. Der Polizist begriff ganz eindeutig nicht, dass es eine schwierige Rettungsaktion werden würde, aber als wir unsere zehntägige Odyssee und die ungefähre Lage der Absturzstelle beschrieben, wurde ihm sehr schnell klar, dass er und seine Leute das Wrack nicht zu Pferd erreichen konnten.
»Ich schicke ein paar Leute zurück nach Puente Negro«, sagte er. »Dort können sie über Funk einen Hubschrauber aus Santiago anfordern.«
»Wie lange dauert das?«, fragte ich.
»Sie könnten morgen hier sein«, antwortete er. »Vorausgesetzt, das Wetter ist gut.«
Meine Sorge um die Überlebenden an der Absturzstelle nahm von Minute zu Minute zu, es blieb uns jedoch nichts anderes übrig, als zu warten. Eine Zeit lang unterhielten wir uns mit Enrique, Armando und einigen Polizisten, dann ging ich zu Bett. Ich verbrachte in der Schlafhütte eine unruhige Nacht, und als ich am nächsten Morgen aus der Hütte trat, sah ich zu meiner Bestürzung, dass Nebel über Los Maitenes lag.
»Glaubst du, dass sie bei solchem Wetter landen können?«, fragte ich Roberto.
»Vielleicht löst sich der Nebel
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