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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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könnte ich plötzlich einen Fluchtweg entdecken, den ich zuvor nicht gesehen hatte. Dann wandte ich mich langsam nach Westen und hatte die hohen Bergrücken vor mir, die mich von zu Hause trennten. Mit neuer Klarheit erkannte ich, welch entsetzliche Macht die Berge besaßen. Wie töricht war mein Gedanke gewesen, ein unerfahrener Junge wie ich könne solche erbarmungslosen Steigungen bezwingen! Jetzt bleckte die Realität vor mir ihre Zähne, und ich erkannte, dass alle meine Träume vom Klettern nichts anderes waren als Fantasien, mit denen ich meine Hoffnung am Leben erhalten wollte. Entsetzen und Trotz sagten mir, was ich jetzt zu tun hatte: Ich würde zu einer tiefen Gletscherspalte laufen und in den grünlichen Abgrund springen. Ich würde dafür sorgen, dass die Felsen alles Leben, alle Angst und alles Leiden aus meinem Körper trieben. Aber selbst als ich mir ausmalte, wie ich in Stille und Frieden hinabfiel, hing mein Blick an den Bergrücken im Westen, ich schätzte Entfernungen ab und versuchte mir die Steigung vorzustellen.Wieder flüsterte mir die kühle Stimme der Vernunft ins Ohr: Die graue Felslinie dort drüben könnte den Füßen guten Halt bieten... Der Überhang da unter dem Gipfel könnte ein Unterschlupf sein ...
    Es war wirklich eine Art Wahnsinn, mir Hoffnungen auf ein Entkommen zu machen, obwohl ich genau wusste, dass kein Entkommen möglich war. Die innere Stimme ließ mir jedoch keine andere Wahl. Die Berge herauszufordern – nur darin lag für mich an diesem Ort die Zukunft. Mit einem Gefühl grausamer Entschlossenheit, das jetzt tiefer in mich eingedrungen war als je zuvor, nahm ich in meinem Innersten eine einfache Wahrheit zur Kenntnis: Ich würde alles daransetzen, von hier wegzukommen. Sicher würde ich dabei ums Leben kommen, aber ich wollte mich um jeden Preis auf die Klettertour begeben.
    Jetzt wurde ich auf eine verängstigte Stimme aufmerksam: Coco Nicholich. Er stand neben mir.
    »Nando, bitte sag mir, dass das nicht stimmt!«, stammelte er.
    »Es stimmt«, zischte ich. » Carajo . Wir sind tot.«
    »Die bringen uns um!«, schrie Nicholich. »Die lassen uns hier sterben!«
    »Ich muss weg, Coco«, erwiderte ich leise. »Ich kann hier keine Minute länger bleiben!«
    Nicholich nickte in Richtung des Flugzeugs. »Die anderen haben uns gehört«, sagte er. Ich wandte mich um und sah, wie einige unserer Freunde aus dem Flugzeugrumpf kamen.
    »Was gibt es Neues?«, rief jemand. »Haben sie uns gesichtet?«
    »Wir müssen es ihnen sagen«, flüsterte Nicholich.
    Wir blickten beide zu Marcelo hinüber, der zusammengesunken im Schnee saß. »Ich kann es ihnen nicht sagen«, murmelte er. »Das schaffe ich nicht.«
    Die anderen kamen näher.
    »Was ist los?«, fragte einer. »Was habt ihr gehört?«
    Ich wollte sprechen, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Da trat Nicholich vor und ergriff trotz seiner eigenen Angst mit fester Stimme das Wort. »Gehen wir nach drinnen«, sagte er, »dann erkläre ich es euch.« Wir alle folgten Coco in die Kabine und drängten uns um ihn. »Hört mal zu, Jungs«, begann er, »wir haben Nachrichten gehört. Sie suchen nicht mehr nach uns.« Die anderen waren durch Cocos Worte wie vor den Kopf gestoßen. Manche fluchten, einige fingen an zu weinen, aber die meisten starrten ihn einfach nur ungläubig an.
    »Aber macht euch keine Sorgen«, fuhr er fort, »das ist eine gute Nachricht.«
    »Bist du verrückt?«, rief einer. »Das bedeutet, dass wir für immer hier festsitzen.« Ich spürte, wie sich Panik in der Gruppe breit machte, aber Coco behielt einen kühlen Kopf und sprach weiter.
    »Wir müssen die Ruhe bewahren«, sagte er. »Jetzt wissen wir, was wir zu tun haben. Wir sind auf uns selbst gestellt. Es gibt keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Jetzt können wir planen, wie wir allein hier rauskommen.«
    »Meine Pläne sind schon fertig«, schnauzte ich ihn an. »Ich gehe, und zwar jetzt ! Ich will hier nicht sterben.«
    »Immer mit der Ruhe, Nando«, sagte Gustavo.
    »Verdammt, nein, nicht mit der Ruhe! Gebt mir ein bisschen Fleisch zum Mitnehmen. Irgendjemand kann mir eine zweite Jacke leihen.Wer kommt mit? Wenn es sein muss, gehe ich allein. Ich bleibe keine Sekunde länger hier!«
    Gustavo fasste mich am Arm. »Du redest Unsinn«, sagte er.
    »Nein, nein, ich schaffe das!«, schimpfte ich. »Ich weiß, dass ich es schaffe. Ich werde Hilfe holen... Aber ich muss jetzt gehen!«
    »Wenn du jetzt gehst, wirst du sterben«, erwiderte

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