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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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irgendwo eine Pflanze, oder unter einem Stein sind Insekten.Vielleicht hatten die Piloten irgendwelche Snacks im Cockpit.Vielleicht haben wir versehentlich etwas aus dem Flugzeug geworfen, als wir die Sitze ins Freie gezerrt haben.Wir sollten noch einmal in dem Schrotthaufen nachsehen. Haben wir alle Taschen der Toten durchsucht, bevor wir sie bestattet haben?
    Immer wieder gelangte ich zu derselben Schlussfolgerung: Wenn wir nicht unsere Kleidung aufessen wollten, gab es hier nichts außer Aluminium, Plastik, Eis und Gestein. Manchmal brach ich mein langes Schweigen und schrie in meiner Frustration laut hinaus: »An diesem beschissenen Ort gibt es nichts zu essen !« Natürlich gab es etwas zu essen – Fleisch, eine ganze Menge sogar und leicht erreichbar. Es war so nahe wie die Leichen, die unter einer dünnen Reifschicht lagen. Heute ist es mir ein Rätsel, warum ich so lange nicht auf diesen Gedanken gekommen bin. Ich glaube, manche Grenzen überwindet unser Geist nur sehr langsam, aber als ich diese Grenze schließlich überschritt, tat ich es mit einem so primitiven Impuls, dass ich selbst erschrak. Es war später Nachmittag; wir lagen in der Maschine und machten uns für die Nacht bereit. Da fiel mein Blick auf die langsam heilende Wunde am Bein eines Jungen, der neben mir lag. In der Mitte war sie feucht und blutig, aber an ihren Rändern hatte sich eine Kruste aus geronnenem Blut gebildet. Ich musste immer diese Kruste ansehen, und als ich den schwachen Blutgeruch in der Luft bemerkte, erwachte mein Appetit. Ich blickte auf und sah, dass andere Jungen ebenfalls die Wunde anstarrten. Beschämt lasen wir gegenseitig unsere Gedanken und wandten den Blick rasch ab. In mir hatte eine Veränderung stattgefunden. Ich konnte es nicht mehr leugnen: Ich hatte Menschenfleisch gesehen und darin instinktiv etwas Essbares erkannt. Nachdem diese Tür einmal aufgestoßen war, konnte ich sie nicht mehr schließen, und von diesem Augenblick an bekam ich die Leichen unter dem Schnee nicht mehr aus dem Kopf. Ich wusste, dass sie unsere einzige Überlebenschance darstellten, aber gleichzeitig war ich über meine Gedanken so entsetzt, dass ich meine Gefühle für mich behielt. Irgendwann jedoch konnte ich nicht mehr schweigen, und eines Nachts, in der Maschine, fasste ich den Entschluss, mich Carlitos Paez anzuvertrauen. Er lag neben mir in der Dunkelheit.
    »Carlitos«, flüsterte ich, »bist du wach?«
    »Ja«, murmelte er. »Wer kann in dieser Gefriertruhe schon schlafen?«
    »Hast du Hunger?«
    » Puta caracho «, schnappte er zurück. »Was glaubst du denn? Ich habe seit Tagen nichts gegessen.«
    »Wir werden hier verhungern«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass die Rettungskräfte uns rechtzeitig finden.«
    »Das kannst du nicht wissen«, erwiderte er.
    »Ich weiß es, und du weißt es auch«, gab ich zurück, »aber ich werde hier nicht sterben. Ich werde es nach Hause schaffen.«
    »Hast du immer noch diese Klettertour vor?«, wollte er wissen. »Nando, dazu bist du zu schwach.«
    »Ich bin schwach, weil ich nichts gegessen habe.«
    »Aber was sollen wir denn machen? Es gibt hier nichts zu essen.«
    »Es gibt sehr wohl etwas zu essen«, antwortete ich. »Du weißt genau, was ich meine.«
    Carlitos rückte in der Dunkelheit hin und her, sagte aber nichts.
    »Ich schneide mir ein Stück vom Piloten ab«, flüsterte ich. »Er hat uns hierher gebracht, vielleicht kann er uns auch helfen, hier herauszukommen.«
    »Scheiße, Nando!«, flüsterte Carlitos.
    »Es gibt hier viel zu essen«, sagte ich, »aber du musst dir sagen, dass es nur Fleisch ist. Unsere Freunde brauchen ihren Körper nicht mehr.«
    Carlitos schwieg eine Zeit lang, dann sagte er leise: »Gott helfe uns. Genau das Gleiche habe ich auch schon gedacht...«
    Im Laufe der folgenden Tage weihte Carlitos ein paar andere in unser Gespräch ein. Einige gestanden, sie hätten ebenfalls schon daran gedacht. Insbesondere Roberto, Gustavo und Fito waren überzeugt, dass es unsere einzige Überlebenschance war. Ein paar Tage lang diskutierten wir nur unter uns darüber, dann entschlossen wir uns, eine Versammlung einzuberufen und das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Alle drängten sich in dem Flugzeugrumpf. Es war später Nachmittag, das Licht war schwach. Roberto ergriff das Wort.
    »Wir verhungern«, sagte er einfach. »Unser Körper frisst sich selbst auf. Wenn wir kein Protein zu uns nehmen, werden wir sterben, und das einzige Protein, das es hier gibt, ist

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