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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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Laura Surraco war seine Verlobte.
    »Sie macht sich doch sicher große Sorgen um dich«, gab ich zurück.
    »Sie ist ein tolles Mädchen. Ich vermisse sie sehr.«
    »Ich beneide dich, Roberto«, sagte ich. »Ich hatte noch nie eine richtige Freundin. Ich war noch nie verliebt.«
    »Wirklich?« Er lachte. »Und die ganzen Mädchen, denen du mit Panchito immer hinterhergelaufen bist? Hat keine von denen dein Herz erobert?«
    »Ich glaube, ich habe ihnen nie die Gelegenheit gegeben«, antwortete ich. »Ich habe immer gedacht, irgendwo da draußen ist das Mädchen, das ich mal heiraten werde. Sie läuft herum, führt ihr Leben.Vielleicht fragt sie sich manchmal, welchen Mann sie irgendwann heiraten wird, wo er ist, was er jetzt gerade tut. Würde sie vermuten, dass er im Gebirge ist und die Anden durchqueren will, um zu ihr zu kommen? Wenn wir es nicht schaffen, werde ich sie niemals kennen lernen. Sie wird mich niemals kennen lernen. Sie wird einen anderen heiraten und nie erfahren, dass es mich überhaupt gegeben hat.«
    »Keine Sorge«, sagte Roberto. »Wir schaffen es nach Hause, und dann wirst du jemanden finden. Du wirst jemanden glücklich machen.«
    Ich lächelte über Robertos freundliche Worte, fand darin aber keinen Trost. Ich wusste, dass die Frau, die ich geheiratet hätte, irgendwo in der normalen Welt ihr ganz normales Leben führte und sich auf den Zeitpunkt zubewegte, an dem wir uns kennen gelernt hätten, an dem meine Zukunft begonnen hätte. Jetzt wusste ich: Wenn sie an diesen Punkt kam, würde ich nicht da sein. Sie würde mich nie kennen lernen. Unsere Kinder würden nie geboren werden. Wir würden kein gemeinsames Zuhause haben und nicht zusammen alt werden. Die Berge hatten mir alle diese Dinge gestohlen, das war die Realität, und allmählich hatte ich mich damit abgefunden. Trotzdem sehnte ich mich immer noch nach dem, was ich nie haben würde: nach der Liebe einer Frau, einer eigenen Familie, einem Wiedersehen mit meiner Großmutter und meiner älteren Schwester und vor allem nach der Umarmung meines Vaters. In diesem Moment erkannte ich, dass diese Sehnsucht nach Liebe tiefer in mir verwurzelt war als Hoffnungslosigkeit, Angst, Schmerzen oder Hunger. Sie schien entgegen aller Vernunft weiterzuleben. Ich fragte mich, wie lange noch. Und wenn sie schließlich nicht mehr da war – würde das der Augenblick sein, in dem auch mein Körper zusammenbrach? Oder würde sie bis zu meinem letzten Augenblick bei mir bleiben? Würde ich mich noch im Sterben nach dem Leben sehnen, das ich nicht hatte?
     
     
    Auch am 19. Dezember war schönes Wetter. Es war der achte schöne Tag hintereinander. Wir waren vormittags mehrere Stunden gewandert, und als ich jetzt wartete, dass Roberto mich einholte, untersuchte ich meine Schuhsohle. Sie war an so vielen Stellen ausgerissen, dass sie beim Gehen schlappte. Ich sah mir die vielen scharfkantigen Steine auf dem Talboden an und fragte mich: Wer wird eher den Geist aufgeben, meine Schuhe oder ich? Wir hatten schon so viele Gefahren hinter uns gelassen.Wir konnten nicht mehr erfrieren und nicht mehr in den Tod stürzen. Alles war jetzt nur noch eine Frage der Ausdauer, des Glücks und der Zeit. Wir marschierten einfach weiter und hofften darauf, dass wir Hilfe fanden, bevor uns das Leben verließ.
    Gegen Mittag machten wir weiter unten im Tal Bäume aus, und Roberto glaubte, er habe noch etwas anderes gesehen.
    »Da«, sagte er, die zusammengekniffenen Augen auf den Horizont gerichtet. »Ich glaube, da sind Kühe.«
    Mit meiner Kurzsichtigkeit konnte ich in so großer Entfernung nichts erkennen, aber ich fürchtete, Roberto könne in seinem erschöpften Zustand an Halluzinationen leiden. »Das können auch Hirsche sein«, sagte ich. »Komm, wir gehen weiter.«
    Ein paar Stunden später bückte sich Roberto, hob etwas vom Boden auf und zeigte es mir: Es war eine verrostete Konservendose.
    »Hier sind Menschen gewesen«, sagte er.
    Ich ließ immer noch nicht zu, dass meine Hoffnung wuchs. »Die kann schon seit Jahren hier liegen«, sagte ich. »Oder vielleicht ist sie auch aus einem Flugzeug gefallen.«
    Roberto blickte finster und warf die Dose weg. »Du Idiot«, erwiderte er, »Flugzeugfenster kann man nicht öffnen.« Später fanden wir ein Hufeisen und dann ein paar Kothaufen; Roberto war fest überzeugt, dass sie von einer Kuh stammten.
    »Möchtest du mir jetzt vielleicht erklären, wie Kuhscheiße aus einem Flugzeug fallen kann?«, fragte er.
    »Gehen wir

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