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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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hatten.
    »Ich bin beunruhigt wegen der Jungs«, sagte ich. »Roy und Coche waren so schwach. Hoffentlich bleibt ihnen noch Zeit.«
    »Keine Sorge«, erwiderte Roberto. »Wenn der Mann morgen wiederkommt, machen wir ihm klar, dass es keine Sekunde zu verlieren gibt.«
    » Wenn er kommt«, antwortete ich. Im Gegensatz zu Roberto war ich noch nicht sicher, dass unser Martyrium jetzt zu Ende gehen würde.
    Der nächste Morgen war der 21. Dezember und der zehnte Tag unserer Wanderung. Roberto und ich waren schon vor dem Morgengrauen wach und starrten auf die andere Seite des Flusses. Dort saßen drei Männer im Licht eines Lagerfeuers. Ich lief zum Flussufer hinunter. Einer der Männer auf der anderen Seite – er trug die Arbeitskleidung eines Bergbauern – tat das Gleiche. Ich wollte ihm etwas zurufen, aber meine Worte gingen im Rauschen des Flusses unter. Ich zeigte zum Himmel und versuchte dann mit Handbewegungen, ein abgestürztes Flugzeug anzudeuten. Der Bauer starrte mich nur an. Die Arme wie Flügel ausgebreitet, lief ich am Ufer auf und ab. Der Mann wandte sich um und rief seinen Freunden etwas zu. Einen Augenblick lang überfiel mich die panische Angst, sie könnten mich für einen Verrückten halten und weggehen, ohne uns zu helfen. Aber er holte ein Stück Papier aus der Tasche, kritzelte etwas darauf, band das Blatt mit einer Schnur um einen Stein und warf ihn mir über den Fluss hinweg zu. Schnell hob ich ihn auf. Als ich das Papier auseinanderfaltete, las ich die Nachricht:
     
     
    Später kommt ein Mann. Ich habe ihm gesagt, er soll gehen.
    Sagt mir, was ihr wollt.
     
     
    Ich suchte in meinen Taschen nach irgendetwas zum Schreiben, fand aber nur den Lippenstift aus dem Gepäck meiner Mutter. Ich wusste, dass ich damit keine lesbare Nachricht schreiben konnte, also machte ich zu dem Mann mit der Hand Schreibbewegungen und schüttelte den Kopf. Er nickte, band seinen Bleistift an einen zweiten Stein und warf ihn zu mir herüber. Ich nahm den Bleistift und schrieb auf die Rückseite des Zettels. Mir war klar, dass ich die Worte sorgfältig wählen musste, damit er begriff, in welcher Notlage wir waren und dass wir unverzüglich Hilfe brauchten. Meine Hände zitterten, aber als der Stift das Papier berührte, wusste ich schon, was ich schreiben musste:
    Vengo de un avión que cayó en las montañas …
     
     
    ... Ich komme von einem Flugzeug, das im Gebirge abgestürzt ist . Ich komme aus Uruguay.Wir sind seit zehn Tagen unterwegs. Ich bin mit einem Freund hier, der ist verletzt. In dem Flugzeug sind noch vierzehn Verletzte. Wir müssen schnell hier herauskommen, und wir wissen nicht, wie. Wir haben nichts zu essen. Wir sind sehr schwach. Wann können Sie kommen und uns abholen? Bitte! Wir können nicht einmal mehr gehen. Wo sind wir?
    Als ich fertig war, drehte ich den Zettel um und kritzelte mit dem Lippenstift in dicken roten Lettern darauf: CUANDO VIENE? (»Wann kommen Sie?«) Weil ich jede kostbare Sekunde sparen wollte, nahm ich mir nicht einmal mehr die Zeit, meinen Namen darunter zu schreiben. Ich wickelte das Papier wieder um den Stein, wie der Bauer es getan hatte, und holte mit dem Arm aus, um das Paket über den Fluss zu werfen. Aber als ich abschätzte, wie groß die Entfernung war und welche Kraft ich brauchen würde, wurde mir auf einmal das Ausmaß meiner körperlichen Schwäche bewusst. Ich war mir nicht sicher, ob die Kraft in meinem Arm ausreichen würde, um den Stein so weit zu werfen. Was war, wenn er ins Wasser fiel? Würde der Bauer die Geduld verlieren und weggehen? Würde er sich die Mühe machen, noch einmal ein Papier herüberzuwerfen? Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und warf den Stein, so fest ich konnte. Er schlug am Rand des Wassers auf und rollte ans Ufer. Als der Bauer die Nachricht gelesen hatte, nickte er und hob die geöffneten Hände; die Geste war eindeutig: Wartet dort. Ich habe verstanden . Bevor er ging, warf er mir ein Stück Brot herüber. Ich nahm es mit zu Roberto. Wir aßen es und warteten, dass Hilfe kam.
    Ungefähr um neun Uhr kam ein anderer Mann auf einem Maultier, und zwar auf unserer Seite des Flusses. Er stellte sich mit dem Namen Armando Serda vor, gab uns etwas Käse aus seiner Tasche und sagte dann, wir sollten warten, während er sich um seine Schafherde auf der Bergweide kümmerte. Ein paar Stunden später kam er zurück. Als er sah, dass Roberto nicht laufen konnte, half er ihm auf das Maultier, und dann brachte er uns zu einem flacheren

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