73 - Der Dukatenhof
seiner Stube zu ihnen gesprochen hatte! War das Zufall? Der Musterwirt konnte sie doch unmöglich kennen! Nach einiger Zeit sprach er weiter:
„Das Herzle setzt sich an den Tisch. Die Anna bleibt hier bei mir und gibt mir ihre Hand!“
Sie taten es. Hierauf sagte er, ohne die Augen aufzuschlagen:
„Aus meinem Grab ist ein großes Geheimnis aufgestiegen. Es befindet sich hier bei uns in dieser Stube. Wer es nicht sieht, dem kann man es nicht erklären. Auch ich weiß es nicht ganz; drum muß ich darüber schweigen. Hast du deinen Vater lieb gehabt, Anna?“
Sie begann sofort zu weinen.
„Mehr, als ich selbst gewußt habe“, antwortete sie. „Das fühle ich erst jetzt, wo er tot ist. Ich habe viel, viel an ihm gutzumachen. Wenn ich es doch könnte!“
„Du kannst es. Und es ist nicht schwer.“
„Was?“
„Etwas Sonderbares. Aber wie, wie würde dein Vater sich freuen, wenn du es tätest!“
„Ich tue es ganz gewiß, wenn ich kann!“
„So will ich es dir sagen. Nämlich es wird von jetzt an zuweilen eine große Sehnsucht nach deinem Vater über dich kommen, so groß, daß du ihr nicht widerstehen kannst. Laß dich aber von ihr nicht nach seinem Grab treiben, denn dieses Grab ist die allergrößte Lüge, die es hier auf der Erde gibt. Zu ihr sollst du nicht gehen, sondern zur Wahrheit, und die ist hier bei mir!“
Sie sah ihn unter Tränen verständnislos an. Er schien das zu fühlen, obgleich seine Augen fest geschlossen waren, denn er sprach nach einer kurzen Pause weiter:
„Das begreifst du nicht. Es ist das Geheimnis, von dem ich redete. Wenn diese Sehnsucht dich ergreift, so machst du dich sofort auf und kommst zu mir, du magst sein, wo du willst. Du fragst hier nach mir und wirst mich dann schon finden. Fürchtest du dich vor mir?“
„Jetzt nicht“, antwortete sie.
„Aber dann! Ich weiß es wohl. Das darf dich aber nicht hindern. Du mußt, du mußt, du mußt dich an mich wagen! Du mußt, du mußt, du mußt mir immer grad in die Augen schauen, darfst keinen Blick von mir wenden. Du sprichst dabei alles, was dir gerade einfallen mag. Die Hauptsache sind nicht deine Worte, sondern deine Augen, die du nicht von mir wegkehren darfst. Es mag sein, wo es will, und es mag dabeistehen, wer da will, das ist ganz gleich! Ich werde es nicht leiden wollen. Ich werde schimpfen. Ich werde dich fortjagen. Du wirst aber nicht gehen, sondern bleiben und mich dabei ansehen. Da wird mein Zorn sich nach und nach verringern, bis er ganz weg ist. Dann werde ich deine Hand erfassen und dir danken, daß du bei mir geblieben bist. Und jetzt paß auf: Dann werde ich dir sogar einen Kuß geben, am liebsten auf das Haar. Von da an, aber ja nicht eher, mußt du alles tun, was ich dir sage, denn es ist bestimmt, an deinem Vater gutzumachen, was an ihm verbrochen worden ist. Hast du mich verstanden? Genau?“
„Ja, ganz!“ antwortete sie.
„Und willst du mir versprechen, es zu tun?“
„Es ist sehr schwer!“
„Ich wußte es! Du fürchtest dich vor mir. Aber ich will dir Mut machen. Höre auf das Jetzige! Versuche es einmal, nur ein einziges Mal! Wenn du es tust, so bringe ich dir die erste Hypothek, welche ich auf deinen Neuberthof in den Händen habe. Ich schenke sie dir; du kannst sie verbrennen. Für das zweite Mal gebe ich dir die zweite Hypothek. So gebe ich dir in einiger Zeit den ganzen Neuberthof zurück und verlange dafür nichts von dir, als daß du tust, was ich dir soeben gesagt habe. Willst du nun, Anna?“
„Ja“, antwortete sie, denn der Preis war groß, und er hatte sie beim Vornahmen genannt, ganz in demselben lieben Ton, wie früher oft der verstorbene Vater.
„Versprich es mir hier in die Hand!“
Sie ergriff die seinige mit beiden Händen und sagte:
„Ich will mich nicht genieren und mich nicht fürchten; ich werde es tun; du kannst dich darauf verlassen!“
„So sei das Herzle unser Zeuge! Geh' zu ihr, wenn es dir zu sauer wird, zu ihr, zu ihr! Sie ist unsere Vertraute. Kein Mensch darf es weiter wissen. Ich halte dich beim Wort. Sie wird das fühlen und dir nicht eher Ruhe lassen, als bis du zu mir kommst. Sie ist auch Zeugin meines eigenen Versprechens, das ich dir so bestimmt halten werde, wie ich dich hier vor meinen Augen sehe.“
Er schlug sie auf und sah sie mit einer Liebe an, die sie fast in Verwirrung bringen wollte.
„Gib deinen Kopf herbei!“ bat er. „Ich muß dich küssen, so, wie ich es dir vorhin gesagt habe.“
Sie neigte ihm gehorsam ihre Stirn zu. Er
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