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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Werke folgen ihnen nach!‘ Den habe ich mir eingezeichnet, weil er auf den Neubertbauer geht. Und dann, dann werde ich dem Fräulein Rosalia beweisen, daß ihre Quittung lügt. Ich beichte ihr, obgleich sie es nicht will!“ –
    Es war am Nachmittag. Die Sonne schaute so warm auf das Bergle herab, als ob sie es ganz besonders in ihr Herz geschlossen und heute sehr liebevolle, heimliche Absichten habe, denn sie hatte einen feinen Federwölkchenschleier vor ihr Gesicht gezogen. Das tut sie nämlich immer, wenn sie den Schalk im Nacken hat.
    Die Mutter sah mit frohem Lächeln über den Tisch zum Herzle hinüber, denn diese hatte das Klöppelkissen beiseite geschoben und die soeben fertig gewordene Spitze in der Hand.
    „Karlinchen, komm her!“ sagte sie. „Stelle dich auf wie eine Dame, die beiden Vorderhände hier auf den Stuhl! Ich will dir die Spitzen anprobieren, denn nur dann, wenn sie dir gut stehen, kann man mit ihnen zufrieden sein!“
    Das Karlinchen gehorchte. Sie war sich der Wichtigkeit dieses Augenblicks im höchsten Grad bewußt. Denn als die Mutter den Spiegel holte und ihn ihr vor die Nase hielt, machte sie ein Gesicht, als ob sie sich wenigstens für eine Kommerzienrätin, wahrscheinlich aber für eine noch viel höherstehende Dame halte. Sie schielte auf den feinen Spitzenkragen genau wie eine titulierte Exzellenz herab.
    Aber ja nicht lange. Denn mit einem Mal nahm sie die Beine vom Stuhl, schwenkte vom Tisch ab und rannte mitsamt dem Spitzenkragen zu gleichen Füßen nach dem Brückle hinunter. Nämlich der Herr Lehrer kam. Da entstand in dem Herzle eine schreckliche Angst, natürlich nicht vor dem Herrn Lehrer, sondern um ihre kostbaren Spitzen. Sie sprang auf und lief hinterdrein, dabei laut rufend:
    „Meine Dangtell de Brüsell, meine Dangteil de Brüsell!“
    Weil man in Brüssel französisch spricht, stand in den Briefen des dortigen Kaufmanns immer anstatt des deutschen Wortes ‚Brüsseler Spitzen‘ das französische Dentelles de Bruxelles. Und es hat kein Mensch das Recht, es einem deutschen Mädchen zu verübeln, wenn es nur in dem ganz besonderen Fall französisch redet, daß ihm die Ziege in die Wicken geht. Dann aber auch ordentlich! So ungefähr wie jetzt das Herzle! Nun war dem Karlinchen zwar alle Weisheit sehr wohl bekannt, von der Zeder bis zum Ysop herunter, genau wie dem König Salomo; aber da es kein Institut für höhere Töchter im Dorf gab, so war sie in keins der französischen Wörterbücher eingeführt worden und wußte also nicht, was das Herzle wollte. Einer braven Ziege kommt alles, was wie ang, ong, oder öng zu lauten hat, viel mehr chinesisch als französisch vor. Und so kam es, daß das Herzle und das Karlinchen leider erst da zusammentrafen, wo sich der Herr Lehrer unweit des Brückle ihnen beiden mit ausgebreiteten Armen in den Weg gestellt hatte. Er war scharfsinnig genug gewesen, sofort zu erkennen, daß eine von ihnen in die Wicken gehen wollte. Doch welche, das mußte die Untersuchung lehren. Darum hatte er die Absicht, sie um keinen Preis vorüber zu lassen, sondern das Verhör sofort zu beginnen. Sie hatten der Abschüssigkeit des Weges nicht die gehörige Rechnung getragen und kamen angesaust, wie aus einer Doppelpistole geschossen, die Ziege aus dem ersten und das Herzle aus dem zweiten Lauf. Der Herr Lehrer aber war der Kugelfang.
    Nun kann man aber sehen, was der Urlaub oder die Ferien auf jeden, der sich mit ihnen abzugeben hat, für einen verderblichen Einfluß äußern. Der Herr Lehrer hatte sein Amt erst seit einigen Tagen an den Vikar abgetreten; aber seine Kenntnisse in der Mathematik waren doch schon so weit zurückgegangen, daß er absolut nicht mehr berechnen konnte, wie hoch die Arme eines erwachsenen Mannes sind, und wie niedrig dagegen der Rücken einer Ziege ist. Und doch war er in der Algebra eigentlich sehr wohl zu Hause. Diese lehrt, daß die Armhöhe eines Mannes gleich X, die Rückenhöhe einer Ziege aber gleich Z ist. Der Unterschied zwischen beiden wird Y genannt. Nun war es aber wegen der verderblichen Ferienwirkung und infolge der rapiden Schnelligkeit, mit welcher sich die beiden Kugeln bewegten, dem Herrn Lehrer nicht möglich, zwischen dem X und dem Z sofort die notwendige Gleichung herzustellen. Darum war es das Karlinchen, welches unter seinem Arm hindurch in die Wicken ging, während das Herzle dagegen zwischen X und Z hängen blieb und von den beiden Armen an dem Y festgehalten wurde.
    Da sie von der Algebra soviel wie

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