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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eine –“
    „Schon gut; ich habe jetzt keine Zeit, auch geht mich die Sache gar nichts an! Wer nicht hört, der muß fühlen! – Das ist eine alte Regel und hier in der Anstalt noch mehr Gesetz als draußen.“
    Er verschloß die Tür und entfernte sich.
    Der Sträfling sank auf seinen Schemel zurück, bog sich auf die Knie hernieder und verbarg das Gesicht in beide Hände. Am Himmel stand die helle, goldene Morgensonne; er konnte sie nicht sehen; ihr Licht fiel nur matt durch das hoch angebrachte, schmale und vergitterte Fenster in den engen traurigen Raum. Wer hat das Recht, dem Menschen ihren Strahl, ohne den er nicht leben kann, zu entziehen? Wer hat die fürchterliche Strafe erfunden, die ihn den Seinen entreißt einer Tat wegen, an der sie keinen Anteil haben? Wer wagt es, zu behaupten, daß der richterliche Schiedsspruch, welcher in die tiefsten Tiefen eines menschlichen Seins hinunterlangt, untrüglich sei?
    Wie oft hatten diese Gedanken in seinem Hirn gewühlt, seinen Kerker zur unausstehlichen Hölle gemacht und jeder einzelnen der jammervoll hinschleichenden Stunden die Länge einer Ewigkeit gegeben! Er nahm die magere Morgensuppe in Empfang, ohne sie anzurühren, hörte nicht das entsetzliche Klirren der Riegel und Schlösser, diese fürchterliche Musik der ‚dunklen Häuser‘, und saß vollständig bewegungslos, bis ihn die Stimme des öffnenden Aufsehers aus seinem dumpfen Brüten weckte.
    „Hundertneunzig, hier ist die Bürste! Schmier' die Schuhe und putz' deine Jacke; es geht zum Herrn Direktor!“
    Nachdem diese einfache Toilette vollendet war, wurde er in das Vorzimmer des Hochgebietenden transportiert, wo eine Menge Schicksalsgenossen von allen Visitationen versammelt waren, ein jeder um für irgendeine größere oder geringere Sünde gegen die Hausordnung die Strafe diktiert zu erhalten. Sie wurden nach der Nummernfolge in Reih und Glied gestellt und in derselben Ordnung expediert. Als er aufgerufen und eingetreten war, fand er den Direktor in unheilverkündender Stimmung. Das Verhalten seines Vordermanns trug die Schuld an ihr.
    „Du hast Nummer hundertneunzig?“ fragte der Direktor.
    „Leider, Herr Direktor.“
    „Leider! Was soll das heißen?“
    „Das soll die Klage bedeuten, daß ich mich in diesem Hause befinde und meinen ehrlichen Namen so ganz verloren habe, daß ich nur noch eine Ziffer bin!“
    „Daran ist niemand schuld als du allein! Wer seine Freiheit mißbraucht und seine Menschenwürde mit Füßen tritt, der wird eingesperrt und gilt als Strafvollzugsobjekt, das man zur besseren Übersicht mit einer Zahl bezeichnet. Hast du das verstanden?“
    „Ich bin nicht gelehrt genug, das zu begreifen, Herr Direktor. Mein Kopf reicht nur so weit aus, zu wissen, daß ich unschuldig bin an dem, was man mir tut. Ich habe –“
    „Nichts hast du, gar nichts, als zu schweigen! Ich möchte nur einmal wissen, wieviel Unschuldige ich hier im Haus habe! Hältst du denn deine Vorgesetzten wirklich für so albern, einer solchen Versicherung Glauben zu schenken? Wer sein Vergehen bekennt und bereut, erweckt Vertrauen und kann noch einmal ein ehrlicher Mensch werden. Wer aber fortgesetzt leugnet, bleibt verloren und verdient die strengste Behandlung. Sie soll dir werden! Du bist angezeigt, dem Posten ungehorsam gewesen zu wein. Warum hast du nicht geschlafen?“
    „Es fiel ein Schuß –“
    „Der dich aufgeweckt hat, und weil es euch immer zu wohl ist, bist du trotz des mehrmaligen Verbots die ganze Nacht spazieren gegangen. Ich werde dir acht Tage Kostentziehung notieren.“
    „Ich werde diese Strafe ruhig tragen, wie ich auch das andere auf mich genommen habe. Aber verdient ist sie nicht!“
    „Was?“ brauste der Direktor auf. „Willst du etwa behaupten, daß ich dich ungerecht behandle? Dann werde ich aus der acht eine vierzehn machen!“
    „So hab' ich's nicht gemeint! Ich denk' nur, wenn der Herr Direktor wüßte, warum ich nicht habe ruhen können, so hätte ich die Kostentziehung nicht bekommen, eben grad', weil ich ihn für gerecht und billig halte! Als der Schuß gefallen ist, hat eine Kinderstimme gejammert und laut ‚Vater!‘ gerufen. Das ist gerade der Ton von meinem Paul gewesen; es hat mich aufgeschreckt und in der Zelle herumgetrieben, als ob er totgeschossen wäre, ich weiß, er ist's nicht gewesen, denn wie sollte er von daheim her in den Graben kommen? Aber ich habe mir nicht helfen können und die Stimme vor dem Ohr gehabt bis jetzt zu diesem

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