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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welchem sich das Mahl befand, nur anzusehen. Er war müde, so müde und zerschlagen, wie er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte, und doch zuckten seine Glieder unter einer Aufregung, die ihn wieder emporriß und in dem engen Räume umhertrieb.
    „Herr Gott im Himmel, laß mich's doch erfahren, wer's gewesen ist! Tot ist er geschossen, denn wenn er verwundet wäre, so könnten sie ihn nicht forttransportieren. Es war seine Stimme und auch ganz genau die Kinderflinte, die ich ihm damals gegeben habe. Wer weiß, wie's ihm daheim ergeht, und da ist er weggegangen, um mich aufzusuchen; er hat mich ja im Graben gesehen, als er an jenem Tag mit der Mutter vorüberging. Wenn er's gewesen ist, so weiß ich wahrhaftig nicht, was ich tue! Hier halte ich's dann nimmer aus; ich muß ihn sehen, ehe sie ihn begraben, und nehme die Flucht, wo mich keine Mauer hält, kein Gitter, kein Graben und kein Pikett.“
    Als er dann in den Hof kam, wo sich die Genossen versammelten, um wieder an den Ort ihrer Beschäftigung geführt zu werden, erkundigte er sich bei ihnen, ob sie vielleicht etwas Genaues über das nächtliche Vorkommnis erfahren hätten. Die Frage mußte heimlich ausgesprochen werden; er erhielt keine befriedigende Antwort, denn die Direktion hatte sich befleißigt, die Kunde von dem Sachverhalt nicht unter die Detinierten dringen zu lassen.
    Der Mann, welchem als Pikett die Beaufsichtigung der Arbeiter für den Nachmittag anvertraut war, nahm sie von dem Aufseher in Empfang, ließ sie zu Paaren antreten, öffnete die Pforte und kommandierte: „Marsch, vorwärts!“
    Er selbst ging mit geladenem Gewehr hinter ihnen her und rief, als sie zur Stelle waren, ein gebieterisches „Halt!“
    Er selbst hatte sie vorgezählt erhalten, mußte sie zu gleicher Zahl wieder abliefern und beobachtete darum die Bewegung eines jeden einzelnen mit aufmerksamen Blicken. Am öftesten ruhte sein Auge auf hundertneunzig, wobei seine Miene einen Ausdruck deutlicher Verachtung und Gehässigkeit zeigte. Dem gewöhnlichen Mann mangelt die Bildung, welche sich zu der humanen Anschauung erhebt, daß das Vergehen die äußere Folge einer inneren moralischen Krankheit sei, an welcher der Verbrecher selbst zuweilen die geringere Schuld trägt, die ihn aber auch im schlimmsten Fall nicht aus der Reihe der menschlichen Wesen scheidet und eher Mitleid als Verachtung erwecken sollte.
    Der Gefangene hatte, als er ihn vorhin erblickte, das Auge bestürzt zu Boden geschlagen, und seine bleichen Wangen waren unter dem Gefühl der Scham bis an die Schläfe rot geworden. Er vermied es geflissentlich, ihn anzusehen und hielt den Kopf so tief wie möglich zur Erde gebeugt. Sein geschwächter Zustand erlaubte ihm nicht, mit den anderen gleichen Schritt zu halten. Der Soldat mußte ihm den guten Willen, das Gleiche zu leisten, anmerken, freute sich aber der Gelegenheit, seine Autorität geltend machen zu können.
    „Ist das Faulheit, bei dem Fährmann!“ räsonierte er. „Mach' vorwärts und bleib' nicht so weit zurück, sonst schreibe ich dich ins Anzeigenbuch!“
    Der Getadelte antwortete nicht, gab sich aber Mühe, einem zweiten Verweis zu entgehen.
    Es gelang ihm nicht.
    „Nun, soll ich dich eintragen, oder willst du nun arbeiten?“ fragte der Soldat in drohendem Ton.
    Jetzt hob der Angeredete den Kopf und sah den Sprecher mit einem Blick an, in welchem Vorwurf und Bitte zugleich lagen.
    „Ich bin krank gewesen, Hilbert-Franz, und habe noch nicht die Kräfte wieder!“ sagte er.
    „Was, du nennst mich beim Namen? Ist dir's nicht gesagt worden, daß du mich nur ‚Pikett‘ zu rufen hast? Das muß bestraft werden.“
    Bei dieser Drohung wurde die Gestalt des anderen um einige Zoll höher, und sein mattes Auge begann zu leuchten.
    „Ich mach's grad' so wie du! Du hast mich beim Namen gerufen und darfst nur die Nummer sagen. Zeige mich doch an, wenn du denkst, daß du recht behältst, aber zum Fürchten bringst du mich wohl nicht sogleich!“
    „Das wird immer besser! Wer so unverschämt ist, das Pikett ‚du‘ zu nennen, der wird arretiert. Ich werde das Signal geben, daß du abgeholt wirst und in die Straflöcher kommst!“
    „Mach' dich nicht groß, Hilbert-Franz! Wenn du den Rock wegtust, den wir respektieren müssen, weil er vom König ist, so bleibt nichts übrig, als ein Schustergeselle, der als der größte Lodrian von Oberdorf bekannt ist. Und den soll ich ‚Sie‘ nennen, wie's in der Hausordnung steht? Da mag der Herr

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