73 - Der Dukatenhof
hier auf dem stillen Pfad eher, als auf der belebten Dorfstraße, wo jede Erscheinung darauf angelegt zu sein schien, die in ihm wohnende Bitterkeit zu steigern.
Die Kirchenglocken riefen zum Nachmittagsgottesdienst. Der Eindruck ihres erhebenden Klangs wollte auch hinab in sein Herz dringen. Er blieb stehen und lauschte. Wie viele Jahre waren wohl verflossen, seit er zum letzten Mal das Gotteshaus betreten hatte? Und wer trug die Schuld, daß er die Menschen mied, sogar an dem Ort, an welchem die Feindschaft und der Haß des Erdenlebens niemals Zutritt finden sollten? Er strich mit der Hand über die umwölkte Stirn und schritt weiter. Die Glocken waren verstummt; jetzt erhob wohl die Orgel ihr majestätisches Brausen, und die Gemeinde stimmte eines jener Lieder an, in denen jede Strophe, jeder Vers von Liebe und vom Frieden predigt. Wer doch dieser Liebe begegnen und diesen Frieden finden könnte!
„Bist du auch wieder hier, Haubold Frieder?“ klang da eine mißtönende Stimme mitten in seine Gedanken hinein. „Hab' gedacht, du schlägst dich mit dem Teufel im Kuhstall herum! Aber sage doch mal, wie war denn eigentlich damals die Geschichte mit meinem Bruder? Bist wohl gar nicht dabei gewesen?“
Haubold fuhr herum und maß den Wiesenbauer, welcher jetzt mit der Ausbesserung des hinteren Gartenzauns beschäftigt war, mit zornsprühenden Blicken.
„Was bist du doch für ein schlechter Kerl, Heinemann! Wär ich wirklich der, für den ihr mich haltet, so spräche ich jetzt den Spruch, und du solltest sehen, was darauf folgen möchte“, sagte er.
„So sprich ihn doch! Der Leibhaftige ist doch dein Gevatter und wird dir gern zu Diensten sein! Aber ich fürchte mich trotzdem nicht vor dir, und du kannst nur immer Sorge tragen, daß du mir nicht einmal in die Hände läufst. Mich wirfst du nicht vom Felsenbruch herunter, wie damals meinen Bruder, darauf darfst du dich verlassen!“
Die Adern an der Stirn des Beschuldigten traten dunkel hervor; er legte die Hand auf den Zaun und hob den Fuß, wie um hinüberzuspringen.
Da fuhr der Wiesenbauer höhnisch fort:
„Hast recht, Haubold Frieder; wir können die Sache gleich hier ausmachen! Die Hacke habe ich schon bei der Hand, und wer ohne Erlaubnis in meinen Garten kommt, den darf ich niederschlagen. Wer des Nachts gemordet hat, gegen den muß man sich auch bei Tage wehren!“
„Nein, Wiesenbauer“, erwiderte Haubold, indem er sich mit Gewalt zur Ruhe zwang und die Hand vom Zaun nahm, „du bist mir nicht gewachsen, trotz deiner Hacke; dies weißt du ebensogut wie ich, aber ich will mich nicht selbst an dir rächen, sondern dich dem lieben Gott überlassen. Der hat deinen Bruder getroffen und wird auch dich zu finden wissen!“
Er ging.
„Der Teufelsbauer fürchtet sich!“ rief es unter höhnischem Lachen hinter ihm. „Lauf nur zu! Vor deinem Advokaten, dem Herrgott, habe ich keine Angst, und du, du kommst mir schon noch hin, wo ich dich haben will!“
Trotz der sommerlichen Hitze, welche auf der Gegend lag, fühlte der Tannenbauer bei dieser Lästerung einen kalten Schauer über seinen Körper gehen. Er dachte nicht mehr an Glockenklang und Orgelton; in seinem Herzen hatte die weiche Stimmung der alten Bitterkeit wieder Raum gegeben; er verdoppelte seine Schritte, um so schnell wie möglich von der Stelle zu kommen, welche den unversöhnlichsten seiner Feinde trug, und atmete leichter und freier auf, als er endlich das Dorf hinter sich hatte und in den Fahrweg einbog, welcher nach dem ‚Teufelshof‘ führte.
Dieser lag seitwärts im freien Feld. Zu beiden Seiten des Einganges erhoben sich zwei mächtige Tannen, welche die Firste des Daches weit überragten und der Besitzung ihren ursprünglichen Namen gegeben hatten, wie auch die Inschrift bezeugte, die einer der früheren Bauern in den Schlußstein des hochgewölbten Torwegs hatte graben lassen:
„Dies Haus, das steht in Gottes Hand
Und wird zum ‚Tannenhof‘ genannt!“
Auf einer der Moosbänke, welche sich um die Füße der Bäume zogen, saß ein junger Mann, welcher so eifrig mit Lesen beschäftigt war, daß er Haubold erst bemerkte, als dieser schon vor ihm stand. Er schloß das Buch und erhob sich.
„Was hast du hier zu lesen, Gustav?“ fragte der Angekommene.
„Es ist das Gesangbuch, Oheim. Hast wohl auch gehört, daß vorhin die Glocken geläutet haben?“ antwortete der andere.
„Warum gehst du denn nicht lieber in die Kirche?“
„Ich mag nicht! Der liebe Gott ist alleweil
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