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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fuhr in finsteren Nächten der Drache hernieder; dunkle oder feurige Erscheinungen zuckten des Mitternachts durch die Luft, und wenn der Sturm über die unheimliche Stätte strich, so fuhren unter herzbrechendem Ächzen und Stöhnen die eingebannten Geister auf und konnten doch nicht loskommen, weil unten im tiefsten Keller das sechste und siebente Buch Moses an einer Kette festgeschlossen war.
    Er lachte unwillkürlich auf und warf, halb trotzig, halb verächtlich den Kopf zurück.
    „Und so sind die Tannenbauern zu Teufelsbauern geworden, vor denen die Buben auf der Gasse davonlaufen, und die sogar der Richter aus dem Ort hinausweist. Man höhnt und spottet ihrer, bis man mal ihre Hilfe braucht, und malt ihnen am Ende gar noch den Satan an die Mauer. Aber wer den Teufel an die Wand malt, zu dem geht er auch; das ist ein altes, wahres Wort, und so will ich ruhig sein und allen Vorwurf tragen, bis meine Zeit gekommen ist.“
    Er mußte sich bücken, um durch die niedrige, enge Pforte zu gelangen, und stieg dann die wenigen Stufen einer schmalen Treppe empor, welche zu einer Tür führte, die in diesem Augenblick nur angelehnt war. Er wußte ganz genau, daß er sie bei seinem Gehen geschlossen hatte; niemand, selbst Gustav nicht, wagten hier Zutritt zu nehmen, und doch befand sich jemand in der Klause des einsamen Einsiedlers, denn es war eine Stimme zu vernehmen, welche in halblauten, abgerissenen Sätzen mit irgendwem zu sprechen schien.
    Er erweiterte leise und vorsichtig die Spalte und blickte hinein. Außer dem einen Kreisabschnitt bildenden Treppenraum befanden sich zwei dreieckige Gemächer in dem Turm, deren rechtem Winkel die von einigen Fensteröffnungen durchbrochene runde Umfassungsmauer gegenüberlag. Die vordere Stube war für einen ‚Einsiedel‘ sehr eigentümlich ausgestattet. Die eine Wandseite wurde von hohen, wohlgefüllten Bücherständen vollständig eingenommen; die andere war mit den Insignien des Studententums, Pfeifen, Schlägern, Cerevis und hundert Kleinigkeiten behangen. An einem der Fenster stand ein augenscheinlich viel benutzter Schreibtisch, und in der Nähe desselben enthielt ein mit grünem Vorhang versehenes Fachwerk allerlei ärztliche Instrumente, chemische Werkzeuge und Apparate.
    Hier war niemand zu sehen; die Stimme kam aus dem nebenan liegenden Raum, dessen Tür weit geöffnet war. Haubolds Züge verfinsterten sich. Wer konnte es wohl unternehmen, das größte Heiligtum, welches der Tannenhof für ihn barg, zu entweihen? Zornig eilte er hinzu und stand im nächsten Augenblick hinter einer weiblichen Person, welche am Boden kniete und mit Inbrunst ein Bild betrachtete, welches sie mit beiden Händen vor sich hielt.
    „Nein, du bist's nicht gewesen“, sprach sie, „das weiß ich sicher und gewiß; aber es darf niemand wissen, wie's gekommen ist, und darum mußt du für mich leiden, ohne daß ich dich davon erlösen kann!“
    „Was gibt's hier zu erlösen, und wer hat dir geheißen, in meine Stube zu gehen?“ fragte es hinter ihr.
    Sie erhob sich erschrocken und wandte ihm ihr blatternarbiges und jetzt vor Verlegenheit hoch errötendes Gesicht zu.
    „Nun, kannst du nicht Antwort geben? Was tut das Bild in deiner Hand? Gleich hängst du es wieder hin an seine Stelle und machst, daß du hinausgelangst. Aber komme mir ja niemals wieder herein, sonst magst du sehen, wo du bleibst!“
    Die freundliche Ausstattung des Zimmers ließ wohl kaum die Vermutung zu, daß es dem Teufelsbauer zur Wohnung diene. An den Fenstern hingen weiße Gardinen, welche allerdings schon seit geraumer Zeit der Wäsche zu entbehren schienen, deren Feinheit aber darauf deutete, daß sie nur von einer ganz besonderen Rücksicht in die Ruine gebracht worden seien. Das Sofa und die weichen Polsterstühle waren mit mühsamen Filetarbeiten belegt; das hinter einem Vorhang sich verbergende Bett trug einen Überzug von gutem, weißem Leinen; der offene Waschtisch zeigte eine sorgfältige Auswahl von für einen Bauernhof ungewöhnlichen Damentoilettengegenständen; auf dem Nähtisch stand ein niedliches Necessaire, und unter dem Spiegel waren allerlei Nippes und Kleinigkeiten gruppiert, unter denen jedenfalls eine zarte Frauenhand gewaltet hatte. War es vielleicht die Hand des jungen, schönen Mädchens gewesen, deren blondlockiges Porträt inmitten eines der zwei verwelkten Vergißmeinnichtkränze hing, welche zu beiden Seiten des Spiegels befestigt waren?
    Vor Bestürzung noch immer wortlos, trat die

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