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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wurden immer tiefer und drohender, und als der Redner bei dem Schwert anlangte, ‚das durch die Seele bohrt‘, und die Absicht vermuten ließ, jetzt sich an diejenige Seele zu wenden, welche der Toten im Leben am nächsten hätte stehen sollen, da war es mit seiner Geduld zu Ende. Den abgenommenen Hut sich auf den Kopf setzend, ergriff er die Hand der Tochter und sagte so laut, daß alle es hörten:
    „Komm, Emma, wenn's so lauten soll, da haben wir hier nichts mehr zu suchen! Ich danke für Ihre Rede, Herr Pfarrer; bezahlt hab' ich sie, aber brauchen tue ich sie nicht! Der Dukatengraf weiß ganz von selber, was er zu tun und zu lassen hat, und Sie werden wohl noch erfahren, was für ein Unterschied zwischen Leichenrede und Strafpredigt ist!“
    Emma erschrak im höchsten Grad über das Tun ihres Vaters; sie zog ihre Hand aus der seinigen und wandte sich zum Sarg zurück.
    „So bleib, wenn dir's gefällt; ich habe nichts dagegen!“ sprach er, indem er sich von dem Grab wegwendete.
    Die Nahestehenden wichen scheu vor ihm zurück; er schritt mit trotzig zurückgeworfenem Kopf zwischen ihnen hindurch und verließ den Kirchhof. Draußen kam eben der Wagen des Barons dahergerollt.
    „Willkommen, Herr Baron! Sie wollen wohl zu mir?“ fragte er diesen.
    „Natürlich! Wir müssen Ihnen doch unser Beileid über den Verlust –“
    „Schon gut! Halb so viel ist auch genug! Und wenn Sie sich wundern, mich hier zu sehen, statt drin bei den anderen, so sollen Sie unterwegs den Grund erfahren. Darf ich aufsteigen?“
    Sein Verhalten hatte die ganze Versammlung in eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht, und nur einer war es, der seine Fassung bewahrte, der Geistliche. Er suchte zunächst das Mädchen zu beruhigen, welches jetzt laut schluchzend an der Erde lag; dann winkte er dem allgemeinen Ausdruck der Entrüstung Schweigen und setzte, als die nötige Stille wieder eingetreten war, die unterbrochene Rede weiter fort.
    Ein Begräbnis wie das heutige hatte noch niemals stattgefunden, aber es war auch noch niemals eine Predigt gehalten worden wie die gegenwärtige, und als am Schluß derselben das Gebet gesprochen war, da wußte jeder, daß er diesen Tag im ganzen Leben nie vergessen werde.
    Der Sarg sollte nun geschlossen werden, und schon griff man zum Deckel, da zog ein lauter, angstvoller Ruf die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem Eingang hin.
    „Halt, halt“, klang es. „Ihr dürft sie nicht einscharren; ich muß die Anna sehen; sie lebt; sie ist nicht tot!“
    Es war der Köpfle-Franz. Trotz aller Eile war es ihm erst jetzt gelungen, die Trauerstätte zu erreichen, und mit Aufbietung seiner letzten Kräfte arbeitete er sich den breiten Kirchhofgang hinauf, bis in die Nähe des Sargs. Er hatte den Hut verloren; die langen Haare hingen ihm in wirren Strähnen um den Kopf; seine Augen glühten wie im Fieber; sein Atem flog, und seine Hände bebten, als er die schwarzen Bretter erfaßte, um sich an ihnen aufzurichten.
    Kein Mensch trat ihm hindernd entgegen. Sie alle kannten die Geschichte des unglücklichen Mannes; sie alle wußten, daß niemand die Verstorbene so sehr im treuen Herzen getragen hatte wie er, daß ihr Tod, außer ihrem Kind, keinem so sehr nahegehen müsse wie ihm, und so störten sie ihn nicht in seinem Verlangen, die leblose Hülle zu sehen.
    „Anna, wach' auf!“ rief er mit zitternder Stimme. „Der Franz ist da, der Grunert-Franz, der mit dir reden will! Ich weiß, du bist nicht tot, du wirst mich hören!“
    Sein Auge suchte das erblichene Angesicht der Leiche; es fiel auf den regungslosen Kopf mit dem vor der Zeit ergrauten Haar, den eingesunkenen Augenhöhlen, den eingefallenen Wangen, den hippokratischen Zügen, und wandte sich dann mit einem unbeschreiblichen Ausdruck auf die Umgebung.
    „Hab' ich's nicht gesagt? Die Anna ist nicht tot, die Anna kann mir nicht sterben! Das hier ist dem – na, dem seine Frau; das ist die Bäuerin von dem – na, dem Hof da draußen; die kann immer tot sein; die könnt ihr immer begraben, denn sie ist seine Frau gewesen. Aber die Anna, die ist mein; die hab' ich bei mir zu Haus viel hundert Mal; die laß' ich mir nicht nehmen!“
    Er schob sich von dem Sarge zurück und gewahrte nun erst Emma, welche unter herzbrechendem Weinen die erschütternde Szene beobachtet hatte.
    „Wer bist denn du?“ fragte er sie. „Dich hab' ich noch gar nicht gesehen! So wie du sah die Anna aus, als sie zum ersten Mal ins Dorf gekommen ist, grad so wie du. Aber du bist

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